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Suche nach Vorbildern. Das Junge Schauspielhaus Düsseldorf zeigt „Almost Lovers“ im Haus der Berliner Festspiele. Foto: Sebastian Hoppe

© Sebastian Hoppe

Kultur: Die Träume der Drachentöter

Politisch, persönlich, pubertär: Starke Stücke beim Berliner Theatertreffen der Jugend.

Das sind die Typen, denen man in der U-Bahn lieber aus dem Weg geht. Pubertierende Testosteronbestien, zu laut, zu wild, zu präpotent, die nicht wissen, wohin mit ihrer unerprobten Stärke. Lohnt es, da einen genaueren Blick zu riskieren? Ja, unbedingt. „Almost Lovers“ heißt das Projekt über Männlichkeit im Reifestadium, das Regisseurin Ines Habich am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf mit zehn Jungs und jungen Männern zwischen zwölf und 22 Jahren aufgezogen hat. Gefunden dort, wo Heranwachsende klischeegemäß ihre Zeit verbringen: im Boxclub, auf der Kartbahn, im Stadion. Auf der Bühne allerdings werden jegliche Stereotype von Beginn an ausgehebelt. Mit Wucht und Selbstironie.

„Almost Lovers“ – die Eröffnungsinszenierung des 34. Theatertreffens der Jugend – zeigt eben nicht bloß die sensible Seite der vermeintlich harten Jungs. Klar, die klingt auch an, wenn sich die Casanovas in spe an Liebesbriefen versuchen („Isch werd um disch kämpfen wie ein Löwe im Dschungel“). Aber vielmehr erzählt das Projekt von der Abwesenheit der Väter und Vorbilder, von den Ersatzfantasien der verhinderten Eroberer, die sich zu Kriegern, Drachentötern, Kreuzfahrern aufschwingen. Die Realität hält weder taugliche Rollenangebote noch Räume bereit, wo sich auch Wut und Frust entladen dürften. In einer der stärksten Szenen tobt der Jungsclub durch den bengalischen Nebel, während aus dem Off der Stadionsprecher einen 8:0-Sieg der Fortuna über Bayern München beschreit. Pure, entfesselte Emotionen. Wenn die überschießen, schnappen allerdings die Handschellen zu.

Acht Inszenierungen von Theaterjugendclubs, aus der freien Szene und von Schulensembles treffen auch in diesem Jahr im Haus der Berliner Festspiele aufeinander. Es sind durchweg „politische Arbeiten“, wie der Juryvorsitzende Martin Frank befindet, „nicht im Sinne von Agitprop, sondern aufgrund ihrer Gesellschaftsrelevanz“. Vielfach verdichten die Stücke das biografische Material der Spieler so kunstvoll und formsicher, dass die verhandelten Themen weit über die Lebenswelt der Jugendlichen hinausweisen. Was etwa in einer Produktion wie „Hell erzählen" vom Theater o. N. augenfällig wird – eine von drei eingeladenen Berliner Inszenierungen, neben „Urban Sounds Clash Classic“ vom Ballhaus Naunynstraße und „Romeo und Julia“ vom Theater an der Parkaue. Die Hellersdorfer Kids, die sämtlich steinige Wege hinter sich haben, stellen eben nicht ihre privaten Schicksale aus. Stattdessen fügen sich die überhöhten Geschichten zum Porträt einer Gesellschaft, die ihre Kinder vernachlässigt und vereinsamen lässt.

Auch dort, wo sich die Nachwuchsspieler an einer klassischen Vorlage abarbeiten, dringt vor allem der unbändige Wille durch, sich die Gegenwart anzueignen. Das Heidelberger Ensemble Rampig macht das mit seinem „Hamlet“ vor. In der Fassung von Christopher Kriese und der Regie von Beata Anna Schmutz entsteht eine Elektro-befeuerte „frei nach“- Performance, die in rotziger Sprache gegen die Vergeblichkeit der Rebellion und die Verstaubtheit der Geschlechterrollen anrennt. Ein Shakespeare 2.0, technisch auf der Höhe der Zeit, wie fast alle Produktionen. Freilich: Die Medien ändern sich, die Coming-of-Age-Themen bleiben. Egal, ob es um erwachenden Gerechtigkeitssinn geht – wie im Globalisierungsrundumschlag „99 Prozent“ vom Spina Theater Solingen – oder um Fragen von Dabeisein oder Draußenbleiben. Wie im Stück „Parallele Welten – Die Insel“ vom Theater Bielefeld. Autor Nuran David Calis hat die Vorlage in einer Schreibwerkstatt mit Kids zwischen 15 und 25 Fragen entwickelt. Und dabei festgestellt, dass die Wurzeln ihrer Familien dabei kaum noch Thema waren. Zugehörigkeit entscheidet sich vielmehr im Chatroom. Den Platz in der Welt finden – oder im Web.

Ein starker Auftritt der Jugend in diesem Jahr. Wenngleich es von den Schulen deutlich weniger Einreichungen gab, wie Martin Frank nicht ohne Sorge beobachtet. Unter anderem beginnt hier G 8 durchzuschlagen. Ein Jammer, denn eine besonders bemerkenswerte Inszenierung stammt von der Theatergruppe Pocomania der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule Grevenbroich. Die hat sich vor der eigenen Haustür umgeblickt. Und mit „Lochland“ ein furioses Stück über die Zerstörung der Landschaft durch den Braunkohletagebau geschaffen, dem ganze Dörfer nebst ihren Bewohnern und Geschichten weichen müssen: „Ein Container steht vor jedem Haus, voll mit Augenblicken.“ Das Ensemble verdichtet die profunden Recherchen zu einer Märchen-Moritat über Plünderer, Katastrophen-Touristen und Kohlemacher, verliert darüber jedoch nie den Realitätsbezug. Im Videointerview sagt eine alte Frau, die Opfer der Umsiedlung wurde: „Ich habe ein Zuhause, aber ich werde nie wieder eine Heimat haben.“

Bis 1.6. Infos: www.berlinerfestspiele.de

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