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Kultur: Die Träumer

Meditativ: Tsai Ming-liangs „What time is it there?“

Vielleicht muss man sich die Zeit vorstellen wie einen langen, ruhigen Fluss. Wie den Fluss, den der taiwanesische Regisseur Tsai Ming-liang in seinem vorletzten, auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären prämierten Film „Der Fluss“ porträtierte. Es ist ein schlammiger, grünlich schimmernder, Blasen werfender Fluss – nicht gesund, aber unaufhaltsam.

Schlammig grün und nicht ganz gesund sind auch die Farben von Tsai Ming-liangs neuem Spielfilm „What time is it there?“. Es sind milchige, trübe Unterwasser-Farben, ob im Dunkel der Nacht aufgenommen oder in den Tunnels der Pariser U-Bahn. Zeit ist Tsai Ming-liangs großes Thema. Zeit, die gemessen wird, und Zeit, die nicht verfließen will. Und vor allem der Unterschied zwischen diesen beiden.

Hsiao Kang (Lee Kang-Sheng, der stille Hauptdarsteller aus allen Ming-liang-Filmen) verkauft Uhren auf den Straßen von Taipeh. Er ist so etwas wie der Herr über die messbare Zeit. Doch irgendwann begegnet ihm die geheimnisvolle Shiang-Chyi, die am nächsten Tag nach Paris reisen will. Und schon gerät die Zeit aus dem Lot: Hsiao Kang stellt aus Sehnsucht nach der räselhaften Frau alle Uhren Taipehs auf Pariser Ortszeit um – und verkennt dabei, dass Shiang-Chyi auch in Paris nach fernöstlichem Rhythmus lebt. Sie, die mit ihrem schmalen, wachen Existenzialistengesicht so gut nach Paris passt, wacht nachts auf, steht auf den Rollbändern still, wenn alle anderen vorbeihetzen, versteht weder Speisekarte noch U-Bahn-Ansage und sitzt im Restaurant nicht, wie man vermuten sollte, bei den vergnügten Studenten, sondern neben zwei älteren Touristen.

„What time is it there?“ hat Zeit, viel Zeit. Es ist ein Film aus langen, ruhigen Einstellungen, fast ohne Ton, ganz ohne Sprache und Musik. Er nimmt sich die Zeit, Unbehagen aufkommen zu lassen, wenn sich zwei auf gegenüberliegenden U-Bahnsteigen in den Blick nehmen und der Zug nicht kommt, eine Minute, zwei Minuten. Er nimmt sich die Zeit, die Protagonisten dabei zu beobachten, wie sie warten, wie sie schlafen, wie sie nachts in Wasserflaschen pinkeln oder ins Aquarium starren. Und er hat Humor, einen wunderbar feinen, zeitlosen Humor. Hsiaos Mutter, die um ihren verstorbenen Mann trauert, meint irgendwann, sein Geist gebe ihr Zeichen, durch die verstellten Uhren. Hsiao selbst sieht sich, um Shiang nahe zu sein, alte Truffaut-Filme auf Video an und trinkt dazu französischen Rotwein. Und Shiang selbst, die sich in Paris höchst unwohl fühlt, sitzt irgendwann auf einer Parkbank neben Truffauts Lieblingsschauspieler Jean-Pierre Léaud – etwas gealtert ist er, mit langem Haar, aber noch immer mit demselben Indianerernst. Spätestens dann steht die Zeit still.

Filmbühne am Steinplatz, fsk (jeweils in der Originalfassung mit Untertiteln)

Christina Tilmann

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