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Kultur: Die Transitraumpfleger

Villa Aurora, Villa Massimo, Villa Romana: Wem nützen Künstlerhäuser im Ausland?

Wäre die Via Senese in Florenz nicht so stark befahren, könnte man den Ort für ein kleines Paradies halten: eine herrschaftliche Villa, umgeben von einem großen Garten, in dem sich selbst in der Hitze des italienischen Sommers ein schattiges Plätzchen findet: Hier lässt sich’s leben. Drei renommierte deutsche Künstlerhäuser gibt es im Ausland. Zwei davon, die Villa Romana in Florenz und die Villa Aurora in Pacific Pallisades in Kalifornien, feiern mit Ausstellungen in Weimar und Berlin derzeit Geburtstag (den 100. und den 10.). Um die Villa Massimo in Rom ist es nach den Turbulenzen der letzten Jahre um die Leitung des Hauses ruhiger geworden, aber auch dort naht das Jubiläum zum 100. Jahrestag. Fragt sich: Wie zeitgemäß sind diese Institutionen heute?

„Der Zweck dieses Unternehmens ist“, schrieb 1905 der Gründer der Villa Romana, der Leipziger Maler und Fabrikantensohn Max Klinger, „talentvollen Künstlern Gelegenheit zu geben, eine Zeit lang in Ruhe an schönem Orte zu arbeiten und zugleich vor den in Florenz so reich vertretenen Kunstwerken aller Epochen, aller Stile mit sich und ihrer Kunst zu Rate zu gehen.“ Liest man jedoch die Elogen, Tagebucheinträge und Erinnerungen der Ehemaligen, gewinnt man den Eindruck, dass Ersteres inzwischen überwiegt.

Wer heute per Stipendium nach Florenz oder Rom reist und dort für ein paar Monate Atelier und Wohnung bezieht, der lässt zunächst die schöne Gegend auf sich wirken und es sich ansonsten wohl ergehen. Die Glücklichen studieren kaum noch die „so reich vertretenen Kunstwerke aller Epochen, aller Stile“, um sie für ihre eigene Kunst „zu Rate“ zu ziehen. Es klingt fast zu banal: Die Welt und die Kunstwelt haben sich verändert, seit die Villa Romana und nur wenige Jahre später, 1910, die Villa Massimo als „Deutsche Akademie Rom“ ins Leben gerufen wurden. Italien ist heute längst nicht mehr das Sehnsuchtsziel, das es zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch war. Die Koordinaten der Orientierung haben sich verschoben, und Reisen gehört längst zum Alltag, nicht nur in Europa.

Die Künstler der Gegenwart gehören zur Jetset-Generation und lassen sich von vielem inspirieren, die Florentiner Renaissance oder der römische Barock gehören nicht unbedingt dazu. Andere Stipendiengeber haben längst auf diesen Umstand reagiert. So schickt etwa der Berliner Senat Künstler nach Istanbul, und die schwedische Regierung unterhält ein Atelier im Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien.

Höchst unterschiedlich ist auch die Auswahl der Stipendiaten. Die von dem Berliner Kunstsammler Eduard Arnhold gestiftete Villa Massimo finanzieren mittlerweile der Bund und die Länder, die Jury rekrutiert sich aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich, ergänzt durch profilierte Kuratoren. Auf ihrer Liste tauchen nur namhafte Künstler auf. Die Villa Romana wiederum wird von einem privaten Stifterverbund getragen, hier treffen Künstler die Wahl der Stipendiaten. Lange Zeit oblag dies dem Deutschen Künstlerbund. Die Gefahr der Vetternwirtschaft ist groß, was den Entscheidungen auch anzumerken ist.

Die aktuelle Ausstellung im Neuen Museum in Weimar, welche die letzten 100 Jahre Villa Romana Revue passieren lässt, kündet mit Werken von Beckmann, Kolbe, Kollwitz und Barlach von einer grandiosen Vergangenheit, über das sich zunehmend der Mehltau der Altvorderen legt. Wie eine Bestätigung erscheint da der „Lobgesang auf ein verlassenes Paradies“ von Markus Lüpertz unlängst in der „Zeit“. Anfang der Siebziger Stipendiat in Florenz, frönt er darin seinen Erinnerungen an das lustige toskanische Künstlerleben und erhebt bittere Klage gegen die moderne Beliebigkeit der „Kisten und quäkenden Apparate“. Stattdessen fordert er, die Villa den Malern und Bildhauern, mithin „den Disziplinen zurückzugeben, für die sie gegründet wurde“. Verzopfter geht es nicht.

Über die Villa Aurora in Los Angeles, das dritte Refugium, lässt sich das nicht sagen. Lion Feuchtwanger und seine Frau Martha hatten das Anwesen am Rande von Los Angeles 1940 günstig erworben; Martha wohnte dort bis zu ihrem Tod 1987. Danach verfiel das Haus, bis eine Berliner Privatinitiative sich seiner annahm, mit Hilfe der Stiftung Deutsche Klassenlotterie. Seit zehn Jahren verbringen dort Künstler jeweils drei Monate in Pacific Palisades am Meer. In Berlin, wo derzeit im Gropius-Bau Arbeiten aus der Villa Aurora zu sehen sind (Tsp. vom 1. 12.), wird deutlich, wie stark die Prägung durch einen transitorischen Ort tatsächlich ist. Da ist Stephan von Huenes faszinierende Klanginstallation mit selbstgebauten Orgelpfeifen. Oder die fast weißen Fotos vom Meeresdunst von Philipp Lachenmann („Grey Study“). Julia Lazarus’ Kameraschwenk auf eine Siedlung nahe der mexikanischen Grenzstadt Tihuana und damit auf die „andere Seite“ der USA. Und Christian Jankowskis doppelbödiger Katastrophenfilm-Splatter, der in Wahrheit eine Hommage an Hollywood in uns allen ist. All diese Werke legen Zeugnis davon ab, dass bestimmte Arbeiten nur an bestimmten Orten entstehen können. Auch hier besteht die Jury wie bei der Villa Massimo übrigens nicht aus Künstlerkollegen, sondern aus Profis aus anderen Bereichen.

Ein Künstlerhaus ist kein Arkadien, kein Partykeller und auch kein Wellness-Resort. Aber ein Freiraum für die Kunst ist es schon, mit oder ohne Park. Es kommt darauf an, ihn zu nutzen.

Transatlantische Impulse – 10 Jahre Villa Aurora, Martin-Gropius-Bau Berlin, bis 19. 2.; Ein Arkadien der Moderne? 100 Jahre Künstlerhaus Villa Romana in Florenz, Neues Museum Weimar, bis 15. 1.

Ulrich Clewing

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