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Kultur: Die unter dem Tisch liegen

Man sollte sich nicht täuschen, der Tapeziertisch in der Galerie ist ein Ready Made und ein Relikt einer Installation des österreichischen Minimalisten Heimo Zobernig aus dem Jahre 1997 in den gleichen Räumen.Dieser ganz gewöhnliche Holztisch - wahrscheinlich aus Ostproduktion - mußte wohl erst aus seinem gewohnten Kontext gehoben werden, um ihn zum Stein eines denkerischen Anstoßes zu machen.

Man sollte sich nicht täuschen, der Tapeziertisch in der Galerie ist ein Ready Made und ein Relikt einer Installation des österreichischen Minimalisten Heimo Zobernig aus dem Jahre 1997 in den gleichen Räumen.Dieser ganz gewöhnliche Holztisch - wahrscheinlich aus Ostproduktion - mußte wohl erst aus seinem gewohnten Kontext gehoben werden, um ihn zum Stein eines denkerischen Anstoßes zu machen.Er präludiert ein künstlerisches Thema, dem sich die Galerie Anselm Dreher derzeit widmet: das des Möbels.Anselm Dreher hat mit dieser Ausstellung wieder einmal die Rolle des Galeristen mit der des Kurators kombiniert.Die sechs, teils seit langem mit ihm verbundenen Künstler kommen natürlich alle aus der konzeptuelle Ecke, sind aber in den drei Räumen spannungsreich miteinander und gegeneinander verschränkt.

Neben dem Tapeziertisch spielen sich turbulente Szenen ab.Im Mittelpunkt steht wiederum ein Tisch, vielmehr eine Tafel, an der sich eben eine Frau zu setzen anschickt, als ihr der Mann den Stuhl unter dem Hintern wegzieht.In der kurzer Videoschleife von Bruce Nauman entspinnt sich daraufhin ein Hauen und Stechen und Schreien, bis beide Akteure erschöpft neben dem völlig unberührten Tisch am Boden liegen.

Neben der zwischenmenschlichen Aggressivität spielen die Requisiten Tisch und Stuhl die stumme Rolle einer nicht mehr erreichten Kultur.Der Verfall der Tischsitten läßt tierische Impulse wieder aufleben.Die soziale Funktion des Tisches hat auch der in Thailand geborene, in New York lebende Künstler Rirkrit Tiravanija thematisiert.Mit seinem tragbaren "Tisch mit integriertem Gasbrenner auf Rucksackgestell mit Utensilien zur Teezubereitung" nimmt man das Angebot zur Kommunikation mit an jeden Ort, wohin die Beine tragen.Tiravanijas Teetisch transportiert die Kultur nicht nur praktisch in die entlegensten Fernen, sondern zeigt auch, daß der Tisch als Ort der Versammlung Symbol für ein kulturelles Miteinander ist.Der Tisch wird als unverzichtbares Instrument der Kultivierung an sich völlig natürlicher Bedürfnisse, wie dem Trinken, einsichtig.

Neben Tiravanija hat der Altmeister der Wort-Kunst, Lawrence Weiner, den Satz "What is set upon the table sits upon the table" malen lassen.In gewohnter Weise übermittelte Weiner schriftlich nur die genauen Angaben zu Schrifttype und Farbe, die Ausführung in der für die Wand adäquaten Größe erfolgte vor Ort in der Galerie von Anselm Dreher.Für den durch das Thema der Ausstellung vorgegeben Zusammenhang geht dieser "Aphorismus", wie Weiner seinen Satz nennt, wahrscheinlich am weitesten an den Ursprung zurück.Die Unterscheidung zwischen Objekten auf einem Tisch und solchen, die nicht auf dem Tisch stehen, die der Satz impliziert, markiert eine kulturelle Schwelle.Die Dinge auf einem Tisch sind eben schon in die kulturelle Sphäre gerückt, sie haben Sinn, Bedeutung und Funktion, sie dienen einem Interesse, sind Mittel der Kommunikation - oder eben schlicht Lebensmittel.

Der in der Schweiz lebende gebürtige Amerikaner John Armleder stellt eine einzige Funktion des Tisches besonders in den Vordergrund: die ästhetische.Vier in der Form identische Tische hat er horizontal nebeneinander mit den Beinen an der Wand befestigt.Durch die Hinterleuchtung scheinen nun die aus Resopal, Furnier oder Marmorimitat bestehenden Platten leicht und luftig vor der Wand zu schweben.

Eine ähnliche Strategie, der Überführung der Gebrauchsfunktion und ins Ästhetische fährt auch Lucinda Devlin - wenn auch mit kritischen Untertönen.Ihr Foto zeigt mit scheinbar unbeteiligter Sachlichkeit den Zeugenraum mit Blick auf den elektrischen Stuhl in einem nordamerikanischen Gefängnis.Das Bild stammt aus einer ganzen Serie mit den Ansichten der Exekutionsmöbel in den USA.Das ästhetische Ambiente des Tötens changiert dabei zwischen krankenhausähnlichem Operationstisch und finster-gruseligem Sado-Maso-Folterkeller.

Das Möbel als Tötungsinstrument, auch das ist eine "Kulturleistung" der Gattung Mensch.So macht die Kunst am makabren Extrem sichtbar, in welch fundamentaler Tradition unsere fraglos akzeptierten Möbelstücke stehen.Sie unterscheiden den Menschen vom Tier.

Galerie Anselm Dreher, Pfalzburger Str.80, bis 19.Juni; Dienstag bis Freitag 14 - 18.30 Uhr, Sonnabend 11 - 14 Uhr.

RONALD BERG

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