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Kultur: Die Vermittlung der Welt

Das Humboldt-Forum auf dem Berliner Schlossplatz – Deutschlands Projekt für das 21. Jahrhundert / Von André Schmitz

Ein Jegliches hat seine Zeit. Dass großen Projekten lange Debatten vorangehen, bevor sie Wirklichkeit werden, ist Ausdruck demokratischer Willensbildung. Deshalb gibt es auch keinen Grund, auf die lange Auseinandersetzung um die Neugestaltung des Schlossplatzes mit missmutiger Ungeduld zu blicken. Im Gegenteil.

Wenn dereinst in der Mitte Berlins ein Museumskomplex entstanden ist, der es mit der Anziehungskraft des Pariser Louvre aufnehmen kann und die Besucher von den europäischen Sammlungen auf der Museumsinsel zu den außereuropäischen Schätzen im Humboldt-Forum strömen, wird in der Rückschau erkennbar sein, dass zur bewusstseinsbildenden und Bewusstsein verändernden Vorgeschichte des Humboldt-Forums die farbige Fassadeninstallation des Schlosses von 1993/94 ebenso gehört wie die kulturelle Zwischennutzung im Palast der Republik zehn Jahre später. Genauso klar wird man aber auch sehen, wie wichtig es war, dass die Politik zum richtigen Zeitpunkt den Mut zu Entscheidungen gefunden hat. An einem solchen Punkt sind wir nun, fast fünf Jahre nach dem Votum der Expertenkommission und dem Grundsatzbeschluss des Deutschen Bundestages, erneut angelangt.

Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, gebührt das Verdienst, der Planung für das Humboldt-Forum einen neuen Schub gegeben zu haben, vielleicht sogar den entscheidenden. Konsequent hat er die architektonische Gestaltung in den Dienst der Nutzungsidee gestellt. Noch in diesem Jahr könnte ein Architekturwettbewerb für den Schlossplatz ausgelobt werden; 2010 der erste Spatenstich und 2013 die Schlüsselübergabe erfolgen.

Das klingt ehrgeizig. Völlig klar aber ist: Nie war die Gelegenheit so günstig, die größte gesamtdeutsche kulturpolitische Vision seit der Wiedervereinigung zu realisieren. Wir sollten diese Gelegenheit nicht aus Kleinmut verstreichen lassen. Nach Tiefensees Planung wäre das Humboldt-Forum mit den jetzt errechneten 480 Millionen Euro mehr als 200 Millionen Euro preiswerter zu haben als bislang angenommen. Und es wird noch günstiger, stellt man die rund 100 Millionen in Rechnung, die eine dringend gebotene Renovierung des Dahlemer Museumsstandortes erfordern würde und die im Fall eines zügigen Baubeginns auf dem Schlossplatz nicht mehr anfielen.

Auch bundespolitisch stehen die Zeichen günstig wie nie. Wer, wenn nicht eine Große Koalition aus beiden Volksparteien, kann die Kraft für ein solches kulturelles „Grand Projet“ des 21. Jahrhunderts aufbringen – zumal jetzt, da die Konjunktur anspringt und die wirtschaftlichen Prognosen vielversprechend sind?

Ein klares Bekenntnis des Bundes zu den überarbeiteten Planungen für das Humboldt-Forum wird auch Berlin herausfordern, sich der kulturellen Bedeutung und wirtschaftlichen Dimension eines solchen Highlights auf dem wichtigsten Platz der Stadt neuerlich zu vergewissern. Für Berlin eine einmalige Chance. Von Berlin und Deutschland kann mit dem Humboldt-Forum eine internationale Ausstrahlung ausgehen, die weltweit ihresgleichen sucht.

Die Idee, in das Humboldt-Forum neben den außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem die wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität zu integrieren und der Zentral- und Landesbibliothek einen Raum zu geben, der zentraler nicht sein könnte, dürfte vor dem Hintergrund konkreter und realistischer Planungen für das Gesamtprojekt eine enorme stadt- und kulturpolitische Dynamik entfalten. Diese inhaltliche Lösung ist zu überzeugend, um ihr nicht jede denkbare Chance einzuräumen.

Das gilt für die Berliner Landespolitik, aber auch für das bürgerschaftliche Engagement der Berlinerinnen und Berliner sowie der zahlreichen Freunde, die diese Stadt in ganz Deutschland hat. Sie alle ließen sich – und das ist die einmalige Chance, vor der wir stehen – für ein solcherart gestaltetes Projekt Humboldt-Forum gewinnen.

Mehr noch: Aus der Geschichte der Museumsinsel lässt sich lernen, wie sehr sich bürgerliches Selbstbewusstsein über kulturelle Teilhabe definierte. Kultur als gesellschaftspolitische Investition: So hat es August Stüler 1841 in seiner ersten Projektskizze für die Museumsinsel zwar nicht formuliert. Aber eben darauf beruht ihre Erfolgsgeschichte. War nicht tatkräftiges, bürgerschaftliches Mäzenatentum der Garant für den Aufstieg der Museumsinsel im 19. Jahrhundert? Wären die Staatlichen Museen je so prachtvoll geraten, wenn nicht Bürger wie James Simon und viele andere den Reichtum der Sammlungen gemehrt hätten? Diese Fragen der Historie, die von bürgerlicher Emanzipation und politischem Fortschritt handeln, sind von unverminderter Aktualität.

Inneren Zusammenhängen nachzuspüren zwischen Orient und Okzident, den Prägungen durch die abendländische Antike und die großen Weltreligionen: Wohl kaum ein anderer Ort würde unsere Weltsicht und unser Weltverständnis derart vertiefen, nirgendwo sonst wären Welthaltigkeit und Weltoffenheit so aufgehoben wie auf der Museumsinsel und dem Humboldt-Forum. Ausgestattet mit einem derart eindrucksvollen Forum des Dialogs der Weltkulturen, würde Deutschland international anders gesehen, wäre stärker gesucht als verständnisvoller Vermittler im Dialog der Kulturen.

Auch in diesem Sinne sollte das Humboldt-Forum ein parteiübergreifendes nationales Projekt sein. Zumal sich alle politischen Akteure einig darin sind, Bildung und Kultur als entscheidende Zukunftschancen unserer Gesellschaft anzusehen. Es gibt ernsthafte Bestrebungen im Deutschen Bundestag, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Das allerdings wäre ein Anspruch, den man nicht mehr mit wohlfeilen Bekenntnissen einlösen könnte. Wer Kultur in dieser Weise aufwertet, muss sich wesentlich umfassender zu ihrer Förderung bekennen. Humboldt-Forum und Museumsinsel wären eindrucksvolle Manifestationen einer Gesellschaft, die Bildung und Kultur höchsten Stellenwert einräumt. Kulturelle Bildung ist in aller Munde. Auch die Berliner Koalitionsvereinbarung hat sie als hohes Ziel Berliner Kulturpolitik festgeschrieben. Das Humboldt-Forum wäre eine ideale Manifestation dieses Anspruches in der Mitte Berlins.

Und es wäre zugleich ein deutliches Aufbruchssignal. Die sich formierende Wissensgesellschaft erhielte mit dem Humboldt-Forum nicht nur ein starkes Symbol, sondern auch ein Fundament kultureller Selbstvergewisserung, einen Motor ständiger Inspiration.

Wie groß die Sehnsucht nach bürgerlichen Bildungsidealen ist, hat sich in den Reaktionen auf die Pisa-Studie für die Schulen gezeigt. Plötzlich waren die Gebrüder Humboldt wieder in aller Munde. Sie stehen für eine weltoffene und erfahrungsgesättigte Gelehrsamkeit, die nicht nur elitären Bildungsansprüchen genügt, sondern auch das Zeug hat , sich in unserer sozial und kulturell vielfältigen Umwelt zu bewähren.

Wo wäre das Erbe der Humboldt-Brüder lebendiger und authentischer zu bewahren als in Berlins Mitte? Hier die Museumsinsel, die eng verbunden ist mit dem Wirken Wilhelm von Humboldts, dort das Humboldt-Forum, das in seiner respektvollen wie unvoreingenommenen Sicht der Weltkulturen für die Ideale Alexander von Humboldts steht. Oder um es mit den Worten des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, zu sagen: Museumsinsel und Schlossplatz werden so zu einer gedanklichen Einheit von Kulturerbe, Kulturwissen, Kulturbegegnung und Kulturerlebnis.“

Und welch schöne Pointe, dass Alexander von Humboldt seine Ideen auch im Hohenzollernschloss entwickelt hat, vor weltlichen Herrschern wie Friedrich Wilhelm IV. und Regenten des Geistes wie Ranke, Niebuhr, Schelling und Schinkel. Diese Geschichte zeigt, wie eng Stadtschloss und Humboldt-Forum zusammengehören. Auch deshalb bin ich ein bekennender Anhänger der rekonstruierten Schlossfassade. Doch warne ich davor, es zu übertreiben mit der Liebe zu architektonischen Details und Streit um Kuppel und Glasdach. Wer das Humboldt-Forum will, darf jetzt keine Architekturdebatte führen. Ihre Zeit wird kommen, da bin ich sicher, spätestens wenn der Wettbewerb ausgelobt wird.

Dann sollte die Gestaltung des Humboldt-Forums mit Leidenschaft diskutiert werden. Sie ist wichtiger Teil der Gesamtinszenierung, in die auch die Geschichte des Platzes und ihrer Bebauungen einschließlich des Palastes der Republik einfließen muss. Zunächst aber gilt es, den Weg frei zu machen für einen schnellen Baubeginn. Das Gebot der Stunde lautet: Aufbruchstimmung erzeugen und die Menschen für eine großartige Vision begeistern. Die Gelegenheit dafür ist jetzt da. Wenn sie verstreicht, werden wir es vor allem in Berlin lange bereuen.

Der Autor ist Kulturstaatssekretär des Berliner Senats.

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