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Kultur: Die vierte Dimension

Hinter den Mauern: Sabine Hornig in der Galerie Barbara Thumm und der Berlinischen Galerie

Berlin kennt viele Mauern: die verwitterten Brandmauern der Gründerzeit, die Glasfassaden der Nachwendeära und natürlich jenes berühmte Exemplar, das nicht mehr existiert, die Berliner Mauer. In der Galerie Barbara Thumm steht ein weiteres Beispiel dieser Gattung: höchst real und doch einen fiktiven Zustand beschreibend. Die fast 15 Meter lange, knapp 170 Zentimeter hohe Diagonale teilt den Galerieraum in zwei Hälften, auch wenn die Steine nur aus Pappmaché gebildet sind. Trotzdem ist eine Illusion nicht bezweckt, denn die Ritzen zwischen den Elementen sind so groß, dass sich die symbolische Bedeutung sogleich erschließt. Diese Mauer meint weniger das Davor und Dahinter, das Darüber und Darunter, eher die zeitliche Dimension, das „Davor und Danach“, so auch der Titel dieses Werks (45 000 Euro).

Sabine Hornig, die Erbauerin dieser trickreichen Skulptur, die einerseits eine konkrete Architekturform zitiert, andererseits mit den Mitteln der Kunst darüber reflektiert, mag Mauern, mehr noch Mauerdurchbrüche, also Fenster. Die Berliner Bildhauerin hat in den letzten 15 Jahren, seit Abschluss ihres Studiums an der Universität der Künste bei David Evison und schließlich Isa Genzken, ein umfangreiches Werk geschaffen, in dem sie immer wieder Fragen des Raums, der Begrenzung am Beispiel einer konkreten Lebenswirklichkeit durchspielt. Insofern sind ihre durchaus kühlen Arbeiten auch nicht in der Tradition der Minimal-Art zu verstehen. Die Künstlerin interessiert sich viel zu sehr für die Realitäten des Lebens. Eine nüchterne Abhandlung ist ihre Sache nicht, und dennoch sind ihre Skulpturen und Fotoarbeiten eine luzide Kritik an der Moderne.

Wie diese Kritik funktioniert, lässt sich an einer weiteren Skulptur von ihr ablesen, die gegenwärtig in Berlin zu sehen ist. Die Berlinische Galerie zeigt aus Anlass der Veröffentlichung der ersten Werkmonografie von Sabine Hornig („Der zweite Raum“, HatjeCantz Verlag, 35 Euro) eine bemerkenswerte Ausstellung (bis 28. Mai). Im Zentrum steht die Arbeit „Raum mit großem Fenster“, bei der die Künstlerin die Auseinandersetzung mit dem Inneren und Äußeren, die Vorstellung des Davor und Dahinter, die Durchdringung der verschiedenen Sphären in ein einziges Objekt verlegt. Der Betrachter befindet sich vis-à-vis einer Doppelglasscheibe, die wiederum als Bildfolie eine Doppelbelichtung trägt: die Sicht in ein Schaufenster, das sowohl den kargen Innenraum eines leergeräumten Ladens als auch den rückwärts gespiegelten Hintergrund, eine beliebige Straßenszene, zeigt. Die 42-jährige Künstlerin treibt das Spiel noch weiter, indem sie den Besucher sich in der Fensterfläche spiegeln, aber auch hinter dieses Fenster treten lässt, so dass er selbst – davor und dahinter – zum Bestandteil der Momentaufnahme wird.

Der Betrachter wird gezwungen, sich in ein Verhältnis zum Gezeigten, zur Architektur selbst zu setzen. Die Tristesse der leeren Ladenlokale, für die Sabine Hornig ein Faible hat, ist ein Anhaltspunkt. Seit Jahren fotografiert die Künstlerin die fast blind gewordenen Schaufenster der Karl-Marx-Allee, für sie Inbegriff einer „angehaltenen Zeit, einer verlorenen Idee“. Die Utopie eines Aufbruchs hat sich verflüchtigt, gleichwohl stehen die Zeichen gnadenlos auf Neubeginn durch den Status quo einer Baustellensituation. Wie andere Berliner Künstlerinnen ihrer Generation, die ebenfalls mit Architekturfotografie arbeiten wie Heidi Specker oder Veronika Kellndorfer, hat Sabine Hornig ein besonderes Gespür entwickelt für die Nuancen von Stillstand und Veränderung in einer Stadt. Das Beispiel Berlin, die Karl-Marx-Allee, ist nur zufällig gewählt; es könnte genauso gut der Westteil (wie in der wunderbaren Fotoarbeit „The Destroyed Room“, die im Wedding entstand), eine andere Metropole sein. Hier in Berlin allerdings gedeiht eine besondere Sensibilität für Mauern – und das Danach.

Galerie Barbara Thumm, Dircksenstraße 41, bis 15. April; Dienstag bis Freitag 11–18 Uhr, Sonnabend 13–18 Uhr.

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