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Kultur: „Die Vögel sollen uns willkommen sein“

Vor dem Waldbühnenkonzert: Dirigent Riccardo Chailly über Karajan, Kubrick und den Enthusiasmus des Berliner Publikums

Maestro Chailly, am Sonnabend dirigieren Sie das traditionelle Waldbühnenkonzert der Berliner Philharmoniker. Kam die Idee von Ihnen oder von den Musikern?

Ich habe mich sehr über diesen Vorschlag der Philharmoniker gefreut. Unsere letzte Zusammenarbeit liegt schon zehn Jahre zurück. Immer wieder haben wir versucht, einen Termin zu finden, der für beide Seiten passte. In diesem Jahr ergab es sich nun, dass in Leipzig, wo ich ja das Gewandhausorchester leite, die Saison früher zu Ende ging als in Berlin. So kann ich jetzt in meinem Urlaub hier arbeiten!

Ihr Debüt bei den Philharmonikern haben Sie 1980 gegeben, als 26-Jähriger …

… und ich kann mich noch heute erinnern, welchen Widerhall der Orchesterklang in mir ausgelöst hat. Das Programm war sehr romantisch, Tschaikowskys Vierte, Schönbergs Kammersinfonie sowie Beethovens 2. Klavierkonzert mit Radu Lupu. Karajan, der ja sehr an neuen Talenten interessiert war, hatte mich eingeladen.

Dieses Konzert wiederum führte dazu, dass Sie zum Chef des damaligen Radio- Symphonie-Orchesters gewählt wurden.

Was habe ich für ein Glück gehabt, dass mein erstes eigenes Orchester gleich ein Spitzenensemble war! Peter Ruzicka, der gerade Intendant geworden war, saß zusammen mit dem RSO-Orchestervorstand auf den Podiumsplätzen in der Philharmonie, als ich dort mein Debüt gab. Sie wollten mich direkt aus der Musikerperspektive begutachten. In meinen acht Berliner Jahren habe ich alles gelernt, was man für eine sinfonische Karriere braucht. Ohne diese Erfahrungen wäre es undenkbar gewesen, in Amsterdam als Chefdirigent zu bestehen. Dank Peter Ruzicka habe ich mein Repertoire stark erweitert. Zu seinen Programmschwerpunkten gehörte ja die Wiederentdeckung von Komponisten wie Erich Wolfgang Korngold, Hugo Wolf oder Alexander von Zemlinsky. An die Sinfonien Gustav Mahlers wollte ich zunächst gar nicht heran, weil ich mich zu jung fühlte. Da musste er mich richtig zwingen. Fang mit dem letzten Stück an, hat er mir geraten, mit der 10. Sinfonie, die Deryck Cooke 1972 rekonstruiert hatte. So habe ich den Mut gefunden, ins Mahler-Universum vorzudringen.

Die Aufführung der Zehnten ist legendär – und weckte auch das Interesse Karajans.

In der Tat wollte er von mir alles über die Partitur wissen, bis ins kleinste Detail. Karajan selber hat die Sinfonie dann allerdings nie dirigiert. Er sagte mir: Dieses Stück kam zu spät in meinem Leben. Aber ich werde nie seine Aufführungen der Sechsten und der Neunten von Mahler vergessen. Karajan habe ich überhaupt als wunderbaren Menschen in Erinnerung. Er hat mit mir immer auf Italienisch gesprochen. Dass waren intensive Gespräche, aus denen ich viel gelernt habe. Nicht allein, dass er mich regelmäßig als Gastdirigent eingeladen hat, ich durfte auch bei den Proben zuhören, die sonst streng geschlossen waren.

Und er hat Ihnen weitere Türen geöffnet.

Es war sein Wille, dass ich das Leipziger Gewandhausorchester 1986 bei den Salzburger Festspielen dirigiere. Ich hatte das Gewandhaus aus verständlichen Gründen nie live erlebt, kannte nur ein paar Platten, aber bei dieser ersten Begegnung hat es spontan ,Klick!’ gemacht. Dann kam meine Berufung nach Amsterdam und so dauerte es bis 2001, bis ich wieder mit dem Orchester zusammenkam. Aber da war dieser spontane Kontakt auch sofort wieder da.

Reagiert das Publikum eigentlich unterschiedlich in den drei Städten, in denen Sie bislang als Musikchef gearbeitet haben?

Ich liebe den Enthusiasmus der Berliner! In Amsterdam klatschen die Leute intensiv aber kurz, in Berlin wie auch in Leipzig dauert der Applaus viel länger. Vielleicht liegt es daran, dass bei den Deutschen die Emotionen sehr tief gehen.

In der Waldbühne treffen Sie nun auf 20 000 Berliner. Flößt Ihnen die enorme Größe des Ortes Respekt ein?

Ich habe die Waldbühne kennengelernt, als ich hier einmal mit dem Concertgebouworkest gastiert habe. Es ist ein spektakulärer Ort, bei dem man als Musiker auf dem Podium aber nicht spürt, wie viele Menschen da sitzen – weil man ja von den Leuten quasi umgeben ist. Wir haben uns für ein sehr virtuoses Programm jenseits des typischen Philharmoniker-Repertoires entschieden. Am Anfang steht die 2. Jazz-Suite von Dmitri Schostakowitsch – seit meiner Jugend eines meiner Lieblingsstücke. Durch Kubricks letzten Film „Eyes Wide Shut“ ist der 2. Walzer der Suite ein echter Hit geworden: Kubrick hatte meine Aufnahme gehört und wollte unbedingt diesen Walzer für den Soundtrack haben, weil er perfekt zur dekadenten Melancholie passt, die er darstellen wollte. Durch die Märsche wiederum, die bei der Jazz-Suite am Anfang und am Ende stehen, wird der Bogen zur obligatorischen Waldbühnen-Zugabe geschlagen, der „Berliner Luft“.

Dann folgt ein Stück von Nino Rota. Da denkt man eher an Filmmusik …

… ja, zu Fellinis „La strada“ oder „La dolce vita“. Aber er hat für alle Genres komponiert, sogar ein Konzert für Posaune. Ich habe ihn als blutjunger Dirigent kennengelernt, als er sein eigenes Klavierkonzert spielte: Ein unglaublich kultivierter, höflicher, schüchterner Mann – genau das Gegenteil seiner Musik. Wir spielen eine 20 Minuten lange Suite aus einem Ballett, das er in den sechziger Jahren für die Mailänder Scala komponiert hat. Das ist eine Premiere für die Philharmoniker.

Am Ende stehen die beiden prachtvollen Tondichtungen von Ottorino Respighi, „Pini di Roma“ und „Fontane di Roma“ in denen es auch sehr leise Passagen gibt. Da könnte es zu einem Konkurrenzkampf mit dem Gezwitscher aus den umstehenden Bäumen kommen.

Die Vögel vor Ort sollen uns willkommen sein! In den „Pini“ gibt es ja die berühmte Usignolo-Passage, bei der die Stimme einer Nachtigall eingespielt wird. Wir benutzen die Originalaufnahme, die Respighi genutzt hat – das könnte einen schönen Kontrapunkt ergeben.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen. Für das Konzert am Sonnabend, das um 20.15 Uhr beginnt, gibt es noch Restkarten.

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