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Kultur: Die Wacht am Rhein

Deutschland-Abstecher: Bob Dylan spielt auf dem Bonner Museumsplatz – und die Zeiten sollen sich mal wieder ändern

Auf diese zwei essenziellen Fragen kennt wohl nur der Wind die Antwort. Ist Bob Dylan ein großartiger Sänger? Ist Bob Dylan ein politischer Künstler, war er es je?

Seit Beginn seiner Karriere Anfang der Sechzigerjahre wurde ihm der Ruf des Protestsängers angetragen, und er selbst hat stets eine Menge unternommen, diese Erwartungen gleichzeitig zu provozieren und zu enttäuschen. Mag er wie ein Poe’scher Rabe krächzen und auf der Bühne die Gestik eines ausgemergelten, herrenlosen Tanzbären zeigen – Dylans Wappentier bleibt das Chamäleon.

Aber die Fans haben die Hoffnung nie ganz aufgegeben, dass der Prophet doch einmal spricht. Man spürte das beim Dylan-Konzert auf dem Bonner Museumsplatz, dem ersten von nur zwei Deutschland-Gigs seiner Europa-Tour 2004. Als er die Zeile skandiert: Even the President of the United States sometimes must have to stand naked, da gibt es ein Raunen in der Menge. George W. Bush als nackter Mann, das ist schon was, auch wenn die Stelle ebensogut auf Clinton passt oder Nixon oder Vietnam-Johnson. Klar, auch bei den „Masters of War“, die sich hinter Mauern und Schreibtischen verschanzen, brandet etwas hilflose Zustimmung auf. Natürlich sagt er kein Wort über Bush oder den Irak. Und trotzdem ist der altbekannte Song über die Kriegstreiber und Kriegsprofiteure ein Höhepunkt am Dienstagabend in der Bundesstadt. „The Times They Are A-Changing“, der bewährte Wende-Klassiker, kommt gleich an zweiter Stelle, nach dem etwas müden Ankurbler „Rainy Day Women“.

Kommt wirklich eine neue Zeit in den USA? Dylan spielt, ob ihm das bewusst ist oder nicht, für das Amerika, auf das wir Deutsche immer stolz gewesen sind. Das ist das eine Paradox. Das andere Paradox betrifft den Poeten, der immer auch ein Popstar sein wollte. Wenn das Chamäleon eine Hymne hat, dann „It ain’t me Babe“. Ich bin’s nicht. Auch damit erfreut er die Herzen in Bonn. Mit seinem warmen, rauen Sarkasmus, der mit den Jahren intensiver wird: bitter-beschwingt. Die Abschiedslieder („Don’t Think Twice“!) sind immer die mitreißendsten.

Er war gut zu hören. Ein solider Auftritt des 63-Jährigen im schwarzen Anzug mit roten Country-Ornamenten, darüber der Cowboy-Hut. Eine Show (wenn man das bei dem notorisch unkommunikativen Dylan überhaupt so nennen kann) ohne große Überraschungen. Ausnahme: „This Wheel’s On Fire“ aus der kryptisch-superproduktiven Phase der Basement-Sessions mit The Band Mitte der Sechziger. Eine absolute Rarität. Das biblische Feuerrad rollt zwischen den Mauern der Bonner Museumsmeile.

Richtig heiß läuft Dylans Tour-Band erst in den Soli der beiden Gitarristen Larry Campbell (der auch Steel Guitar und Zitter spielt) und Stuart Kimball. Mit Tony Garnier am Bass, Dylans treuestem Begleiter auf der never ending tour, und George Recile, den der Meister als best drummer on stage vorstellt, steht da eine Gruppe hochmusikalischer Rocker und Leibwächter auf der Bühne, die Bobs gelegentliche Texthänger und die fragend verzögerten Einsätze der Mundharmonika locker wegstecken.

Zwei Stunden lang klebt Bob Dylan, leicht windschief, auf der rechten Bühnenseite, hinter dem elektrischen Piano verschanzt, man sieht ihn nur im Profil. Kaum auszumachen, was er da klimpert. Die Gitarre fasst er nicht an. Doch die Gerüchte, dass er inzwischen zu verkalkt sei, um in die Saiten zu greifen, scheinen eine Erfindung besorgter Fans zu sein. Bei Auftritten mit Willie Nelson in den USA sah man ihn jetzt wieder mit seinem angestammten Instrument.

Bob Dylan bleibt der seltsamste Performer auf diesem Planeten. Ja: Nur Dylan kann Dylan-Songs bis in die dunkelsten Tiefen ausloten. Mit dieser Sisyphus-Arbeit („Like A Rolling Stone“!) ist er offenbar noch lange nicht fertig. Kürzlich hat ihm die St. Andrews-Universität in Schottland die Ehrendoktorwürde angetragen. Und er nahm an! Ein Meilenstein vielleicht auf dem Weg zum fälligen Literaturnobelpreis. Sein zweites Deutschland-Konzert hat ihn nach Worms geführt. Die Frage, warum er sich das antut, lässt sich nur mit Nibelungentreue beantworten. Der Dylan des 21. Jahrhunderts hat etwas vom dunklen Hagen Tronje, während er früher die E-Gitarre schwang wie Jung-Siegfried das unbesiegbare Schwert. „All Along The Watchtower“. Letzte Zugabe. Die Wacht am Rhein.

Rüdiger Schaper

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