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Kultur: Die Welt bricht zusammen, das Traumpaar entschwebt

Triumph an der Berliner Staatsoper: Vladimir Malakhov inszeniert und tanzt den Klassiker „Die Bajadere“

Intendant Peter Mussbach bekannte frohen Mutes, vom Ballett „eigentlich nichts zu verstehen“ und zog es vor, über seine letzte Opernpremiere „Die Nase“ zu sprechen. Vertreter der Bühnentechnik hatten zuvor die grüne Kulturpolitikerin Alice Ströver des geplanten Theatermordes bezichtigt. Und Gerhard Brunner, scheidender Ballettbeauftragter des Senats, war zum Empfang gar nicht erst eingeladen. So geriet das Nachspiel zur triumphalen Ballettpremiere an der Staatsoper Unter den Linden zur berlintypischen Posse mit ganz schlechtem Skript. Denn Gerhard Brunner war es, der Vladimir Malakhov als Ballettdirektor vorgeschlagen hatte. Und die damalige Kulturstaatssekretärin Alice Ströver hatte die unter Christoph Stölzl verschleppte Berufung des russischen Ballettstars unter Dach und Fach gebracht.

Zum Glück ist der Empfang immer erst nach der Premiere. Und die war für alle, die sich für Tanz mehr interessieren als für die Ränke hinter den Kulissen, ein wahres Fest. Vladmir Malakhov, als Ballettdirektor, Chefchoreograf und Solist seit Beginn dieser Spielzeit an der Staatsoper, blickt entschlossen an allem Widrigen vorbei nach vorn und will Berlin helfen, endlich einen Ausweg aus der jahrelang gepflegten Ballettmisere zu finden. Er hat für den Anfang seine 1999 in Wien inszenierte „Bajadere“ mitgebracht und für die neue Wirkungsstätte adaptiert.

Das Werk, uraufgeführt 1877 in der Einrichtung von Marius Petipa, zählt zum Opulentesten, was das Ballettrepertoire zu bieten hat. Die verwickelte Handlung um den „reichen und berühmten Krieger“ Solor und dessen verbotene Liebe zur Bajadere Nikia erstreckt sich über vier Akte. Weil das Sehnsuchtsland Indien Ort des Geschehens ist, darf die Ausstattung von Jordi Roig verschwenderisch irisierende Seidenstoffe und goldflirrende Saris verwenden, dazu Elefantenstatuen und Tempelfassaden aufbieten.

Wie üblich im Grand Ballet gibt es handlungssatte Bilder, in denen die Personen mit stummer Sprachmacht ihre Konflikte zeichnen. Die „Bajadere“ bietet davon reichlich. Am Ende, nach unglaublich schwierigen Verwicklungen, Herzensdramen und Anschlägen, erschüttert ein Beben den Erdkreis, die Welt bricht zusammen, und als Apotheose sehen wir das junge Paar im Tode vereint nach alpinen Fernen schweifen.

Viele Ballettcompagnien fürchten sich vor der aufwändigen „Bajadere“, denn gerade in der auch von Malakhov verwendeten Urfassung ist es ein technisch höchst anspruchsvolles Werk. Aber Malakhov, der zugleich ausgebildeter Ballettpädagoge ist, hat die ersten Monate seiner Berliner Tätigkeit vor allem im Trainingssaal verbracht und seine in vielen Positionen erneuerte und ergänzte Compagnie technisch sehr weit vorangebracht.

So war das Ensemble am Premierenabend in den Anfangspartien zwar noch vom Lampenfieber gezeichnet und agierte sichtlich nervös. Aber schon rasch hatten die Damen und Herren des Corps de ballet, unterstützt von Eleven der Staatlichen Ballettschule, Tritt gefasst. Und siehe da: In allen Partien wird Großes geleistet, die Tänzer steigern sich in einen Technikrausch hinein. Nicole Siepert glänzt im Grand Pas des zweiten Aktes und als Schatten im dritten mit ihrer traumsicheren Balance und jubelnden Attacke. Die messerscharfe Beinarbeit ihrer Kolleginnen, die rasanten Piqués, die hochfahrenden Passés und verwickelten Sprungkombinationen geraten durchweg zum leichtfüßigen Kinderspiel. Marcin Krajewski donnert als „Goldener Gott“ mit unaufhaltsamer Sprungkraft, ehe er den Tempel einstürzen lässt. Und die beiden großen Ensembleszenen – das Hochzeitsfest und der legendäre „Schattenakt“ – gelingen so inspiriert, ja befreit, wie man es aus dem Haus bislang kaum kannte.

Einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg lieferte das Dirigat von Michael Halázs, der den Solisten wie der Gruppe anschmiegsam folgte. Erstaunlich auch Beatrice Knop, die als grimme Hamsatti über sich selbst hinauszuwachsen schien. Ihre Variationen im zweiten Akt waren fast beängstigend souverän und grenzenlos sicher. Gasttänzerin Diana Vishneva als ätherische Nikia ist von Statur und akademischem Können wie verflüssigt und schwerelos – ein leises Hauchen der Technik. Ihr flehentlicher Kampf um die Liebe drückt sich gleichsam feinstofflich noch in ihrem überaus zarten, aufgelösten Port de bras aus.

Und Vladimir Malakhov schließlich sorgte mit seiner musikalischen Linienführung und entschlossenen, wenngleich fein nuancierten technischen Bravura in der Rolle des Solor für Begeisterungsstürme. Nach der Vorstellung regnete es Blumen auf Berlins neues Traumpaar des Tanzes, die Fans jubelten anhaltend. Das Staatsopernballett ist auf einem guten Weg.

Knop/Vishneva/Malakhov tanzen nochmals am 12. Dezember, weitere Besetzungen am 10., 14., 17. Dezember.

Franz Anton Cramer

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