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Kultur: Die Welt in tausend Teilen

Im Berliner Kronprinzenpalais wird Albert Einstein als „Ingenieur des Universums“ gefeiert

Es glitzert, gleißt und flimmert, es sirrt und rauscht und raunt durch alle drei Etagen – ein Spektakel wie nie zuvor im Berliner Kronprinzenpalais. Bei so viel Masse und Energie versteht man sofort: Die multimediale Schau möchte das Kronjuwel sein der zahllosen Präsentationen in diesem E-Jahr. E = Erinnerung plus Einstein im Quadrat. Und dazu – eine Reise vom Dunkel ins Licht.

So beginnt der Weg zur geistigen Erleuchtung in schwarz ausgeschlagenen Räumen. Noch sinnieren wir, warum das ganze Unterfangen „Albert Einstein. Ingenieur des Universums“ heißt. Denn der zum 100. Geburtstag seiner Speziellen Relativitätstheorie wie zum 50. Todestag gefeierte Jubilar war ja vieles. Ein philosophisch, poetisch, politisch animierter Physiker. Ein ingeniöser Denker, aber kein Ingenieur. Und mit einem Werk reiner Fantasie fängt die Schau auch an, indem die Herren Aristoteles, Newton und Einstein von den schwarzen Wänden herab über die Schwerkraft disputieren.

Naturgemäß wird das physikalisch-philosophische Terzett dabei von Schauspielern verkörpert, nach einem Minifilmdrehbuch, das Jürgen Renn als Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte geschrieben hat. Später wird man den fingierten jungen Einstein auf Leinwänden und Videos auch noch mit Max Planck oder den Freunden seiner in Bern vor hundert Jahren gegründeten „Akademie Olympia“ debattieren sehen; dabei sitzt der eher alkoholabstinente Genius ein wenig steif beim Bier, und das Ganze riecht doch sehr nach Studio, kaltem Schweiß und angepappten Bärten und Perücken.

Jederzeit spürt man hier den Ehrgeiz, die Naturwissenschaften in all ihrer Ab- straktion ins Anschauliche zu übersetzen, sie populärwissenschaftlich zu inszenieren. Das freilich gelingt leichter, wo handfeste Originale aus den Frühzeiten der modernen Physik zu sehen sind. Der Besucher mag dann neben dem Galileischen Fernrohr ein „Ebullioskop“ von 1890, einen Parabolspiegel für „Hertzsche Wellen“ von 1900 oder die zur Prüfung von schweren und trägen Massen wichtige „Eötvös-Waage“ bewundern.

Im Obergeschoss staunt man über die unermesslich bunten Lichtschirmwelten von Galaxien und Krebsnebeln und denkt, eine recht altertümlich wirkende eiserne Installation sei eine Mischung aus Kanone, Fernrohr oder Abwasserrohr. Doch ist es ein Gerät „zur Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten“, worin sich „Atome wie ein einziges Teilchen verhalten“. Die Universität Konstanz hat damit 1997 eine Hypothese Einsteins aus dem Jahr 1924 bestätigt.

Die Mehrheit der Besucher dieser ab morgen fürs große Publikum geöffneten Ausstellung wird auch kaum ahnen, dass ein gekrümmter roter Eisenbogen, der einer Calder-Plastik ähnelt, das Modell einer „Spule des Wendelstein 7-AS“ bildet und zum Aufbau einer Kernfusionsanlage dient; andererseits entpuppen sich zwei vermeintliche Raketentreibsätze als „Doppel-Hornantenne zur Messung des kosmischen Mikrowellenhintergrunds“. Dass „der sichtbare Himmel eine große optische Täuschung“ ist, dachten wir uns sogar schon ohne Kenntnis des Mikrowellenhintergrunds. In jedem Fall aber hat die daniel-düsentriebhafte Poesie all der Namen, Phänomene und Probleme ihren eigenen Reiz. „Man muss die Welt nicht verstehen“, hat Einstein einmal gesagt, man muss sich nur darin zurechtfinden.“ Das gilt auch hier.

Jürgen Renn und das Max-Planck-Institut haben diese sieben Millionen Euro teure, von der Bundesregierung, dem Lotto und mehreren Industriefirmen und Stiftungen geförderte Schau konzipiert: zusammen mit dem Berliner Ausstellungsmacher Stefan Iglhaut, einem schon bei der Hannoverschen Expo 2000 bewährten Spezialisten für die Versinnlichung von Technik, Science und Fiction.

Manchmal gleicht der Parcours einem geisterhaften Labyrinth. Aber die Ausstellung suggeriert eindrucksvoll, dass all das für den Normalbesucher nur Ahnbare oder Teilverständliche mit dem universellen, unsere Vorstellungen von Zeit und Raum, Energie und Masse revolutionierenden Denken Albert Einsteins zusammenhängt. Hierzu könnten die Informationstexte in den einzelnen Räumen freilich ausführlicher und instruktiver sein (es fehlen sogar die Namen der szenisch agierenden Figuren). Gelegentlich gehört auch ein Briefumschlag nicht zum ausgestellten Brief, oder Einsteins letzte Wohnung in Princeton wird in einem VideoKommentar wohl mit dem Büro im Institute for Advanced Study verwechselt. Es gibt in der Fülle Überflüssiges wie eine Einstein-TV-„Tagesschau“ oder eine Video-Navigation durchs heutige Berlin zu Einsteins gar nicht mehr vorhandenem Wohnhaus (bis 1933) in Schöneberg.

Doch aus dem legendären Turmzimmer in jener Haberlandstraße 5 ist nun sein Schreibtisch nach 72 Jahren erstmals nach Berlin zurückgekehrt. Der süddeutsche Bauerntisch wurde mit anderen Möbeln 1933 nach Amerika verschifft, an ihm hat Einstein auch in Princeton bis wenige Tage vor seinem Tod im April 1955 an seiner nie vollendeten physikalischen Weltformel gearbeitet.

Es gibt unter den rund tausend Exponaten, zumeist Faksimiles von Manuskripten aus dem Einstein-Archiv der Hebrew University Jerusalem, allemal bewegende Funde. Beispielsweise einen Brief von Elsa, Einsteins zweiter Frau, an eine Bekannte in Kalifornien, in dem sie bereits am 5. Februar 1934 von Princeton aus über die Verfolgung der Juden in Deutschland schreibt: „So spielt sich dort eine Tragödie ab, wie es die Weltgeschichte kaum jemals erlebt hat.“ Brillant auch eine gleichsam atmende Hinterglas-Installation zur Speziellen Relativitätstheorie. Schwächer präsentiert sind dagegen die Jahre in den USA, das Verhältnis zum Judentum und zu Israel, das Einstein das Amt des Staatspräsidenten antrug. Und eher irreführend wirkt der Kontext zwischen naturwissenschaftlichen und künstlerischen Revolutionen nach 1900, weil der Antibürger Einstein ästhetisch erstaunlich traditionell und zur künstlerischen Avantgarde ohne Kontakt blieb.

Und der „Ingenieur des Universums“? Die Erklärung für den schönen irritierenden Titel liefert eine rote Box beim Eingang. Zieht man dort eine Schublade, findet sich darin ein amerikanischer Brief aus dem Jahr 1947, adressiert an „Dr. Albert Einstein, Chief Engineer of the Universe“. Das ist die versteckte Pointe.

Kronprinzenpalais, Unter den Linden 3, bis 30. September. Ab Pfingstmontag 10–20 Uhr, danach Mi – Mo 10–20 Uhr. Katalog 29,90 €.

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