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Kultur: Die Welt, morgens um fünf

Der New Yorker Multimedia-Künstler Doug Aitken bespielt die Fassaden des MoMA

Acht Sonnen bescheinen das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) aus vier Richtungen. Die dunkelorangen Riesenbälle leuchten auf den Stahl-, Glas- und Granitwänden des Gebäudes in Midtown Manhattan, sie strahlen durch die Äste der nackten Januarbäume hindurch in den Skulpturengarten, über den Parkplatz und auf die Straße. Es folgen schlafende Menschen unter Bettdecken, Körper, die zu leben beginnen, Wasser, das durch Duschköpfe rauscht und die Zirkulation des Blutes anregt, Kaffeetassen, U-Bahnen, Taxis, Ampeln.

Fünf Geschichten erzählt der amerikanische Multimedia-Künstler Doug Aitken in jeweils 13-minütigen Kurzfilmen, die er auf die Außenwände des MoMA projiziert. Fünf Mal beginnt das Leben eines Bankers, eines Fahrradkuriers, eines Elektrikers, einer Postangestellten und einer Sekretärin im Rhythmus der Stadt, fünf Mal nimmt die Stadt ihren Rhythmus auf.

Das Personal der Filme ist höchst prominent: Als Geschäftsmann castete Aitken Donald Sutherland, die Büroangestellte spielt Tilda Swinton, den Elektriker der brasilianische Schauspieler und Musiker Seu Jorge, die Frau von der Post Chan Marshall, die unter dem Namen Cat Power als Musikerin bekannt ist. Ryan Donowho, den Aitken in der Subway kennen lernte, stellt sich selbst dar als Fahrradkurier und U-Bahn-Schlagzeuger. Sie alle erwachen, nachdem die Sonne untergegangen ist. Ihre Arbeitsnächte beginnen wie die von Millionen: Aufstehen, duschen, Kaffee trinken, die Apartmenttür schließen, in die Stadt eintauchen. Die Eintönigkeit der Jobs lässt ihre Gedanken in andere Gefilde driften – und plötzlich verändert sich ihre Umwelt. Elektrokabel werden zu Lassos, Eimer zu Trommeln, Kopiermaschinen geben den Rhythmus vor für ein wildes Violinenkonzert, eine Endlospirouette – und Donald Sutherland steppt auf der Motorhaube des Taxis, das ihn noch kurz zuvor über den Haufen gefahren hatte. Und für die Zuschauer in den kalten New Yorker Winterabenden liefert die langsam abebbende Geräuschkulisse in Midtown den Soundtrack zu den Stummfilmen.

Die Idee zu „Sleepwalkers“ (Schlafwandler) kam Aitken, als er die Stadt für ein anderes Projekt durchforstete. Eigentlich wollte er etwas mit Wolkenkratzern machen, doch nirgendwo in Manhattan fand sich ein geeignetes Objekt für eine seiner Großprojektionen auf mehreren Flächen gleichzeitig. Bei einem seiner Spaziergänge stolperte er dann durch Zufall über ein gerade in Bau befindliches Gebäude mit großen, glatten, teils transparenten Wänden, nicht ahnend, dass es sich dabei um das von Yoshio Taniguchi erweiterte MoMA handelte. „Ich blickte auf die Büros und sah eine großartige, schimmernde Lichterbox“, erinnert sich Aitken. Museumsdirektor Glenn D. Lowry gewährte dem Künstler wenige Tage später eine Baustellenbesichtigung und bot seine Kooperation an.

Was dabei herauskam, charakterisiert Aitken so: „Die Stadt ist ein Körper, der Körper ist eine Stadt.“ Die U-Bahn, die Straßen und Autobahnen lassen sich als Venen und Arterien verstehen, erläutert Aitken auf der Pressekonferenz. Und führt weiter aus: „Ich denke jeden Tag, dass meine Bewegungen verbunden sind mit Bewegungen einer externen Welt, dass sie verbunden sind mit einem größeren System.“ Kuratiert hat die Arbeit Klaus Biesenbach, der Leiter des neu geschaffenen „New Media“–Departments am MoMA. Der Begründer der Berliner Kunst-Werke gibt mit Aitken seinen spektakulären Einstand in New York.

Die Kurzfilme bieten keine abgeschlossenen Geschichten, sie sind vielmehr Stoff für den Betrachter, der als sein eigener Regisseur fungiert. Steht man etwa im Skulpturengarten des MoMA, kann man drei Stories auf vier Wänden parallel verfolgen. Nach 13 Minuten laufen dieselben Filme in anderer Zusammensetzung erneut. „Leben, Veränderung und organische Bewegungen fließen ineinander, ohne dass ich eine Schlussfolgerung ziehe“, sagt Aitken. Er hofft, den zufälligen Passanten anlocken und dessen Aufmerksamkeit von den Leuchtreklamen und Werbespots ablenken zu können, die die Stadt dominieren. Für seine Filme sammelte er Material in allen fünf New Yorker Stadtteilen, in einer Leuchtreklamenwerkstatt in der Bronx ebenso wie in einer Eislaufbahn auf Staten Island. Bisweilen drang er an Orte vor, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, an einen stillgelegten U-Bahntunnel in Brooklyn oder auf den seit Jahren geschlossenen Hubschrauberlandeplatz auf dem Met-Life-Gebäude in Midtown.

New Yorks kunstfreundlicher Bürgermeister Michael Bloomberg setzt in der kalten, touristenfeindlichen Jahreszeit große Hoffnungen in das Millionenprojekt und erhofft sich einen ähnlichen Zulauf wie bei der Kunstaktion „The Gates“ von Christo und Jeanne-Claude vor zwei Jahren. Das New Yorker Künstlerehepaar lockte mit seinen safranfarbenen Stofftoren im Februar 2005 vier Millionen Besucher in den eisigen Central Park und schwemmte laut Berechnung des Stadtkämmerers 254 Millionen Dollar in die Kassen der New Yorker Wirtschaft. Zur Eröffnung von „Sleepwalkers“ geriert sich Bloomberg denn auch eher als Geschäftsmann denn als Kunstliebhaber: „Das Projekt macht Spass, ist faszinierend und – das ist das Beste – der Eintritt ist frei.“

Bis 12. Februar, täglich 17 Uhr bis 22 Uhr. Weitere Informationen unter www.moma.org

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