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Kultur: Die wichtigsten Leute der Welt

Über 40 Jahre lang hat sich Gerhard Richter gegen Begriffe wie Kreativität oder Autorschaft gewehrt. Dennoch lässt sich seine Arbeit am besten im Zusammenhang des Gesamtwerks verstehen.

Über 40 Jahre lang hat sich Gerhard Richter gegen Begriffe wie Kreativität oder Autorschaft gewehrt. Dennoch lässt sich seine Arbeit am besten im Zusammenhang des Gesamtwerks verstehen. "40 Years of Painting", die Richter-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA), präsentiert mit 188 Bildern eine der größten Einzelretrospektiven in der Geschichte des Hauses; sie galt als überfällig.

Kurator Robert Storr führt im Katalogtext die verzögerte Wahrnehmung von Richters Bedeutung in den USA auf transatlantische Missverständnisse zurück. Nach der Ignoranz gegenüber europäischer Nachkriegskunst in den 60ern wurde Richter in den 80ern mit den neo-expressionistischen Jungen Wilden identifiziert und erfuhr erst in den 90ern seine Rehabilitation als postmoderner Zyniker dekonstruktiver Anti-Malerei. Storr feiert Richters Werk als erfolgreiche, wenn auch gebrochene Verteidigung der Malerei in der Epoche ihres kulturellen Bedeutungsverlustes. Ja, der Kurator glaubt sogar, sie verdanke ihr Überleben als legitime künstlerische Form nicht zuletzt Richters "intensiver Untersuchung der Malerei".

Das MoMA versammelt Beispiele aus allen Werkgruppen: die figurativen Fotobilder, die Farbfeldtafeln, die semi-abstrakten Stadtbilder, die Grau-Monochrome, Kerzen, Schädel, Seestücke und die "Abstrakten Bilder". So lassen sich Richters Reflektionen zur Objektivität visueller, medialer und malerischer Wahrnehmung verfolgen, ein spannungsvoller Zusammenhang, der in den USA hinter den isoliert wahrgenommenen Einzelaspekten bisher nicht gesehen wurde. "The Enigma" titelte das "New York Times Magazine" denn auch im Vorfeld der Ausstellung und resümierte als des Rätsels Lösung Richters "echten Glauben an die Malerei". Auch das "New York Magazine" betont die "paradoxe Konsistenz" seines Werks und weist die Einordnung Richters als ironischen Postmodernen zurück.

Gegenüber einer eher an der Pop-Art orientierten Verarbeitung des Banalen betont das MoMA die politsch codierten Sujets: Kernstück der Ausstellung sind die berühmten 15 Bilder zum Tod der RAF-Häftlinge von Stammheim. Die - im Zusammenhang des 11. September besonders beachteten - politischen Aspekte in Richters Werk erscheinen als notwendige Beiträge zur Rettung der Malerei. Storr präsentiert "18. Oktober 1977" als Reflektion zur Historienmalerei und als angewandte malerische Kritik des deutschen Herbsts. Außerdem sind die Bilder ein Paradebeispiel für Richters anti-ideologischen und anti-autoritären Impuls. Sie kritisieren die dogmatisch-idealistischen Terroristen genauso wie ihre Gegner im Staatsapparat, nüchterne, überzeugungslose "Gangster" - und als solche das "kleinere Übel", wie Richter im Interview erklärt. Die "New York Times" lobte die Reihe als "die einzigen großen Kunstwerke zum Terrorismus".

Die politische Themenwahl der frühen Bilder war von Richter oft provokativ dementiert worden. Die Bilder seien sinnlos, die Objekte zufällig gewählt. Dann malte er amerikanische Bomber, seinen alten Nazi-Onkel oder einen kleinbürgerlichen Kronleuchter. Nun gibt Richter im Rückblick das Spielerische jener Dementi zu. Man habe sich eben damals nicht auf den "gesellschaftskritischen Polit-Künstler" festlegen lassen wollen. Seine Ablehnung jeglicher Ideologie und jeglichen künstlerischen Programms hat der Künstler bis heute konsequent durchgehalten. Dennoch hat die Kunst für ihn einen zentralen welterschließenden und weltüberschreitenden Stellenwert. Schon 1966 schrieb er: "Nachdem es keine Priester und Philosophen mehr gibt, sind die Künstler die wichtigsten Leute auf der Welt."

All das wird dem Betrachter gegen Ende des Rundgangs durch die chronologisch gehängte Ausstellung deutlich. Während in einigen jüngeren abstrakten Gemälden überwältigende Form- und Farbwelten entstehen, bleiben die figurativen Bilder, etwa die Portraits von Richters Frau und Kindern, ebenso wie die Landschaftsbilder durch Übermalungen oder Serialisierungen gebrochen. Zweifellos haben wir es auch hier mit einer konstruierten malerischen Welt zu tun und nicht mit der Repräsention von Wirklichkeit. Die Ausstellung ordnet diese Bilder in Richters Gesamtproduktion ein und macht damit dem postmodern sensibilisierten Kunstpublikum New Yorks auch den Genuss einiger klassischer Meisterwerke akzeptabel.

Ralph Obermauer

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