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Kultur: Die Wiederkehr der Wellen

Ein Kalifornier träumt in Berlin von Hawaii: Kevin McAleer schildert in seinem Roman „Surferboy“ das Auf und Ab einer Subkultur

Die erste Welle, von der Kevin McAleer erzählt, hat mit Surfen nichts zu tun. Der Kalifornier, der seit 1994 in Berlin lebt, meint eigentlich einen Trend, und es ist wohl nur eine kleine Unsicherheit in der fremden Sprache. Aber man mag es gern für einen dieser Freud’schen Versprecher halten, in denen sich unwillkürlich zeigt, woran jemand in Wirklichkeit gerade denkt. Und McAleer denkt noch immer an die Wellen, auch wenn die Zeit, als er ein Surfer war, fast dreißig Jahre zurückliegt.

Die siebziger Jahre waren die klassische Zeit des Surfens, sagen die, die zu dieser Zeit gesurft haben. Danach sei alles bergabgegangen, die Kulturindustrie habe die Subkultur unterwandert, die Strände seien übervoll geworden, dass „Line-up“, in dem die Surfer auf die Welle warten, kriminell. McAleer, Schriftsteller und Historiker, hat gerade seinen ersten Roman veröffentlicht, er heißt „Surferboy“. Da meint einer der Ältesten gar: „Die Wellen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.“ Klassisch, sagt McAleer, ist immer die Zeit der eigenen Jugend. Als er Ende der Siebziger anfing zu surfen, da schwärmten die Älteren von den Sechzigern, die noch Älteren von den Fünfzigern. Und die Surfhistoriker erinnerten an die Zwanziger, als der Hawaiianer Duke Kahanamoku – der Vater des modernen Surfens – mit einem Holzbrett die Wellen eroberte.

Hawaii, der Mythos. Da hat alles angefangen, sagt McAleer und fügt mit Surferstolz hinzu, dass schon Thomas Cook 1778 von surfenden Eingeborenen berichtet. Bis die calvinistischen Missionare dem unsittlichen Vergnügen ein Ende setzten. Wenn man McAleer, 45, so reden hört, wundert einen nicht, dass er promovierter Historiker ist. Nur ist sein Fachgebiet nicht Wassersport, sondern ein abgründiges Kapitel deutscher Geschichte. Über das Duell im Fin-de-Siècle hat er ein viel beachtetes Buch geschrieben. Nirgendwo sonst in Europa, behauptet McAleer darin, war das Duell so verbreitet und so tödlich wie im deutschen Bürgertum. Während die Bürger anderer Länder eine liberale, demokratische Tradition entwickelten, orientierte man sich in Deutschland an Adel und Militär. Und ebnete damit, so McAleers Folgerung, auch den Weg ins „Dritte Reich“. McAleer kam als Dozent an die Freie Universität, aber bald merkte er, dass Historiker letztlich nur ihre eigene Geschichte erzählen wollen. Also schrieb er einen Erzählband und dann „Surferboy“. Den ersten puren Surfroman, wie er sagt, „frei von dem ganzen anderen Quatsch wie Familie und Beruf“. Surfen, man merkt das schnell, hat für McAleer etwas Essenzielles.

Für Nichtsurfer klingt das ziemlich langweilig – aber „Surferboy“ ist ein klug arrangierter Entwicklungsroman und die Verfallsgeschichte einer Subkultur. Erzählt aus der Sicht eines Neulings, der dazugehören will, hat es zugleich den wahnhaften Blick des Surfers und den ironischen Blick des Außenseiters. Der Erzähler Steve wächst in einem Vorort von Los Angeles auf. Für die „Locals“ an den Stränden ist er ein „Val“, ein Eindringling aus dem Tal. Aber bald surft er mit Radical Jack und dem Hawaiianer Jim, und es scheint, dass er auf dem Weg ist, ein richtiger „Surfpenner“ zu werden, einer, der sein Leben fürs Surfen opfert. Wie Süchtige hängen Steve und seine Freunde am Radio und lauschen den Wetterberichten. Manchmal, wenn das Verlangen zu stark wird, fahren sie über Nacht Hunderte von Kilometern die Küsten rauf und runter auf der Suche nach Wellen.

Surfer, das ist eine Botschaft des Romans, sind religiöse Fanatiker. Sie verfügen über eine eigene Sprache (nachzulesen im „Complete Book on Surfing“), es gibt eine Struktur von Eingeweihten und Außenseitern (als „Kooks“ verhöhnt), und nach der Entdeckung der mächtigen Wellen an der North Shore Hawaiis in den fünfziger Jahren war nicht zufällig von einem Exodus der Surfer aus Kalifornien die Rede. Nach Hawaii, ins heilige Land des Surfens, schafft es der Erzähler Steve nie. Nach einer Harnleiterverengung darf er nicht mehr ins Wasser. Und allmählich versteht er auch, warum sein Lehrer sagt, dass die alten Griechen nicht gesurft hätten. Es fordert den Geist einfach nicht.

Warum Kevin McAleer nach Deutschland gekommen ist, fragt man ihn oft. Er weiß es selbst nicht so genau. Nach Hawaii hat er es jedenfalls auch nie geschafft. Aber für ihn war das Surfen auch keine Religion, sagt er. Es hat keine tiefere Bedeutung, keine Ozeanmystik, nichts von einer romantischen Rückkehr in die Natur. Surfen, sagt er, ist das Gegenteil von allem Geistigen. Es ist die reine Leere und zugleich die totale Anwesenheit.

Im Scherz redet er von Nietzsche und der ewigen Wiederkehr der Wellen. Aber dann gerät er ins Schwärmen, und spätestens als er von der Antischwerkraft der Welle redet, ist er im Reich der Surfmetaphysik angekommen. „Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füßen,“ zitiert er aus „Jenseits von Gut und Böse“. Und da schimmert auf, was ihn nach Deutschland gezogen haben könnte: Die griechischen Denker haben nicht gesurft, aber Nietzsche? Dann wird McAleer nachdenklich. Bis heute fragt er sich, warum er nie auf Hawaii gewesen ist – es scheint eine Schlüsselstelle in seinem Leben zu sein. Stattdessen sitzt er jetzt hier. Er schaut aus dem Fenster seiner Wohnung in Lichterfelde und blickt in den Regen. Dann klingeln die Zeugen Jehovas. Kevin McAleer ist ein freundlicher Mensch, der gerne plaudert, er lässt sie immer zu sich herein. Aber bekehren werden sie ihn nicht, seinen Glauben hat er längst gefunden.

„Surferboy“ (272 S., 17,90 €) ist im Seeliger Verlag erschienen. Kevin McAleer stellt seinen Roman heute um 20 Uhr 30 im Literarischen Salon Britta Gansebohm vor, BKA-Theater, Mehringdamm 32–34.

Jean-Michel Berg

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