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Kultur: Die Wüste lebt

Von Hans Christoph Buch Die Rezeption lateirikanischer Literatur in Deutschland steht unter einem günstigen Stern, dessen Licht gleichwohl mehr verdunkelt als erhellt. Gemeint ist der Lateinamerika-Boom der 80er Jahre und das damit einhergehende Klischee von einer lebensprallen Literatur, die Sex Appeal mit politischem Engagement verbindet und vorzugsweise in Tropenwäldern oder im Schatten von Vulkanen angesiedelt ist.

Von Hans Christoph Buch

Die Rezeption lateirikanischer Literatur in Deutschland steht unter einem günstigen Stern, dessen Licht gleichwohl mehr verdunkelt als erhellt. Gemeint ist der Lateinamerika-Boom der 80er Jahre und das damit einhergehende Klischee von einer lebensprallen Literatur, die Sex Appeal mit politischem Engagement verbindet und vorzugsweise in Tropenwäldern oder im Schatten von Vulkanen angesiedelt ist.

Die Bestseller von Autoren wie Gabriel Garcia Marquez oder Isabel Allende sind an der Entstehung und Verbreitung dieser irreführenden Vorstellungen nicht ganz unschuldig, weil die Mehrheit der Lateinamerikaner heute längst in Millionenstädten lebt und sich in archaischen Welten weniger zu Hause fühlt als in den Labyrinthen von Jorge Luis Borges. Die Meister des lateinamerikanischen Romans - ein Kosmopolit wie Cortazar, ein Modernist wie Lezama Lima oder ein urbaner Erzähler wie Onetti - passten nie in dieses naive Klischee, ganz zu schweigen von einem poeta doctus wie Borges, der an Gelehrsamkeit und Belesenheit seine europäischen Vorbilder und Anreger übertrifft. Auch das lyrische Werk von Pablo Neruda, dem Antonio Skarmeta in seinem später verfilmten Roman "Il Postino" augenzwinkernd gehuldigt hat, sprengt dieses holzschnittartig vereinfachte Bild, in dem sich Exotik noch immer auf Erotik reimt.

Epischer Atem

Das gilt in noch höherem Maß für den chilenischen Poeten Raul Zurita, der jetzt als Kurzzeitstipendiat des DAAD in Berlin weilt und, vorgestellt von Antonio Skarmeta, in der Autorenbuchhandlung Gedichte las: großräumige Natur- und Landschaftsschilderungen, wie man sie in der deutschen Gegenwartslyrik vergeblich sucht; langzeilige Poeme, deren Helden keine Menschen sind, sondern Berge und Wüsten, Gletscher und Fjorde, und deren epischer Atem an Neruda und Gabriela Mistral, aber auch an Walt Whitman und Allen Ginsberg erinnert.

Dass Antonio Skarmeta seit geraumer Zeit Chile als Botschafter in Deutschland vertritt, ist bekannt. Aber dass auch das kleine Costa Rica seit zwei Jahren seinen wichtigsten Schriftsteller als Botschafter nach Berlin entsandt hat, ist zu Unrecht kaum bekannt. Dabei ist der bald wieder aus Berlin abreisende Rafael Angel Herra kein tropischer Paradiesvogel, sondern ein europäisch gebildeter Intellektueller, der fließend Deutsch spricht, in Mainz studiert und über Edmund Husserl promoviert hat.

Angel Herras Roman „La Guera Prodigiosa“ (Der wundersame Krieg, für den Universitätsverlag Costa Rica kongenial übersetzt von Tetzeli von Rosador, dem langjährigen Leiter des Goethe- Instituts in San José) schildert die Versuchungen eines Säulenheiligen in der Wüste. Der Roman hat mehr mit der Apokalypse des Johannes oder dem Danteschen Inferno gemein als etwa mit Isabel Allendes Geisterhaus. Auch der costarizensische Dichter las in der Autorenbuchhandlung. Die folgende Maxime, die Angel Herra dabei, Kant weiterdenkend, als Imperativ der Unmoral bezeichnet, könnte der Schriftsteller und Botschafter seinem deutschen Kollegen Martin Walser ins Stammbuch schreiben: „Handle stets so, dass es die Maxime deiner Handlung sei, keine Schuld zu fühlen, ganz gleich, was du tust."

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