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Kultur: Die Wunschmaid liebt den blauen Dunst

David Alden und Zubin Mehta vollenden den Münchner „Ring“ mit der „Götterdämmerung“

Ein Bild wahrlich für die Götter: Aus der Bühnentiefe grüßt das Auditorium des Bayreuther Festspielhauses mit Logen, Kugellampen und seinen keuschen Säulen, in den Stuhlreihen des Parketts thront ein gipsernes Walhall-Modell, von ersten Flammen umzüngelt, darüber klafft weit offen der Schnürboden des Münchner Nationaltheaters, und weiter vorne, wo Brünnhilde, die „Anarchistin“ (Nike Wagner), sich gerade eben noch die Pulsadern aufgeschnitten hat, da halten nun und für alle Zeit sechs mannsgroße, weiße Ratten die Wacht.

Über die drei Leichen vorne an der Rampe und die eine rechts in der Seitengasse (auch Bösewicht Hagen jagt sich am Ende eine Kugel in den Kopf), über den unausrottbaren „Gewaltzusammenhang“ der Gesellschaft, und über eine Botschaft, die im letzten schwerblütigen Aufwallen des Sieglinde-Motivs noch einmal ihr janusköpfiges Haupt schwenkt: Hier die selige Erinnerung an Liebe und Leben, da die Hoffnung und Sehnsucht, dass es noch einmal so werden könnte, so leicht und licht und schön; hier die Fesseln der Geschichte, da die rauschenden Schwingen der Utopie. Nur dazwischen, im Hier und Jetzt, gähnt es leer und kalt. Eine Wirklichkeit, der zweifellos bloß die Schlauesten und Anpassungswilligsten gewachsen sein werden: eben jene Ratten nämlich, die Bühnenbildner Gideon Davey in diesem „Götterdämmerungs“-Finale als Abgesandte Alberichs ins Rennen schickt.

Und so gilt denn für uns wie für sie: Immer das Schnäuzlein hübsch in die Höh‘, Witterung aufnehmen - und immer mit einer Kralle in der rettenden Unterwelt. Ein Bild so deutungshungrig wie surrealistisch vertrackt und verspielt; eine Metapher, nein: Metaphernschichten, Metaphernfolgen, die entschlossen sind, Richard Wagners Opern-Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ bei seiner Hybridität, seiner theatralen Disparatheit zu packen.

Ob die Rheintöchter im dritten Akt nun als sexy Nixen in hautengen Pailletten-Kleidchen mit Siegfried ein großartig durchchoreografiertes Spiel spielen (Margarita de Arellano, Ann-Katrin Naidu, Hannah Esther Minutillo mit Schmollmündern und prächtig ausgestopften Busen), oder der Ring, das vermeintliche Objekt der Begierde, am Ende einfach auf dem Souffleurkasten liegen bleibt. Ob sich die Mannen der Gibichungen als martialisch blökende Fantasy-Germanen in die Brust werfen (mit Bärenfell und Drachentöter), oder ob Siegfried und Gunther ihr brüderliches Blut aus Champagnerkelchen trinken – dieses alles und noch viel mehr hat Platz, hat Raum in Wagners Bühnenfestspiel. Sagt David Alden, der Regisseur, der Münchens „Ring“ im vergangenen Jahr rettete, als er nach Herbert Wernickes plötzlichem Tod mit einem sehr umstrittenen „Siegfried“ in die Bresche sprang.

Und genau darin liegt Aldens Mut, seine Stärke: zu konfrontieren, was fremd ist, zu verbinden, was sich sträubt. Hier schließt, hier fügt sich nichts, kein Kreis, kein Weltenlauf – und letztlich eben auch kein „Ring“ (was sich angesichts der Genese der Münchner Tetralogie fast makaber anhört). Dabei ist David Alden alles andere als ein hartleibiger Dekonstruktivist. Der New Yorker handelt vielmehr aus einem bildungsgesättigten Bauch heraus, greift mal hier, mal da geschickt etwas aus der Luft, in der es ohnehin liegt, sortiert, arrangiert, schüttelt und rührt.

In der Summe aber macht genau das auch die Schwäche der Aufführung aus. Die schillernde Außenhaut nämlich, mit der Alden die „Götterdämmerung“ überzieht, dieses ungenierte postmoderne Patchworkwesen, es spricht weder zu noch mit der Musik. Oder anders: Wagners Diktatur der Leitmotive, seine dramatische Architektur, sie sind und bleiben stärker als jede noch so einfallsreich zerbröselnde Bühnenrealität. Insofern geht alles Kontrapunktische ins Leere. Insofern müssen Alden und Davey mit ihrer historisch-ästhetischen Streusandbüchse auf hohem Niveau scheitern – die Oberfläche jedenfalls ist nicht der Ort, an dem das Gesamtkunstwerk zu Herzen geht.

Und so zaubert die Regie denn munter ein weißes Kaninchen nach dem anderen aus dem Hut, und wenn Siegfried (der anfangs mit Hornbrille und kariertem Jacket wie Heinz Erhart daherkommt) als Schwertscheide die Stoßstange eines ramponierten Cadillacs mit sich herumschleift, dann soll das wohl erstens lustig sein, zweitens an den Autounfall (!) erinnern, den Brünnhilde am zweiten Tag des Bühnenfestspiels erlitten hat, und drittens ihn, den Toren, von der in gestyltem Schleiflackambiente sich zergrübelnden, therapiereifen Gibichungen-Gesellschaft des ersten Aktes scheiden. Matti Salminens mächtig röhrender Hagen, Juha Uusitalos markiger Gunther und Nancy Gustafsons liebreizende, fein gestimmte Gutrune widmen sich dieser Aufgabe mit Disziplin und Inbrunst. Und eigentlich gibt Stig Andersen auch einen sehr respektablen Siegfried: keine heldisch betörenden Spitzen im lyrisch timbrierten, in den Höhen etwas strohigen Tenor, aber mutig und sauber durchgestanden bis zum Schluss.

Mit Zubin Mehta am Pult des Bayerischen Staatsorchesters allerdings verschärft sich die Problematik. Nicht nur dass der Dirigent vom ingeniösen Bauplan dieser Partitur kaum etwas ahnen lässt, dass er nicht hören macht, wie rattenfängerisch Wagners „unsichtbares Orchester“ hier zu Werke geht, mit Wirkung und mit Pathos spielt und dabei unverhofft und immer wieder von sich selbst eingeholt und übertroffen wird (die besagte Diktatur der Leitmotive lebt ja nicht zuletzt aus dem Widerstand, den sie provoziert, aus der Überwindung, der Transzendierung ihrer selbst!) – Mehta will dies alles gar nicht. Und selbst der süffige Sound, den er kreiert, das allzeit Pastose, sich in unerhört bräsigen, breiten Tempi Ergehende, es hätte noch etwas – wenn es, wie beispielsweise bei Christian Thielemann in seinen besten Momenten, vor Intensität nur so funkelte und sich um rein gar nichts mehr scherte, nicht um das Erträgliche und um keine Grenzen des guten oder schlechten Geschmacks.

Solcher Sinn fürs Anarchische aber liegt Zubin Mehta fern. Wie eine Endlosschleife mittelmäßiger Filmmusik zieht dieser Wagner im Graben seine Bahn, und auch die Highlights – Siegfrieds Rheinfahrt und Tod, der Trauermarsch oder Brünnhildes Schlussgesang – bleiben seltsam fad. Als flöhen Mehta alle Kräfte, als erschöpfte sich sein Gestaltungswille einzig noch in exorbitanten Lautstärken.

Was bleibt, ist (Nike Wagners) Dramaturgie. Es mag eine bestechende Idee gewesen sein, in Brünnhilde, Wotans einstiger „Wunsch-Maid“, am Ende des Nibelungen-Zyklus die Intellektuelle zu sehen, eine, die mit Pagenschnitt und Zigarette im Mundwinkel ihr Leben hauptsächlich reflektierend, die eigene Vergangenheit aufarbeitend und also: schreibend verbringt. Gabriele Schnaut macht das ziemlich überzeugend (und lässt darüber ihr übliches sängerisches Forcieren, dieses Bungeejumping in Phrasierung und Artikulation fast vergessen).

Auf Dauer aber wirkt es leider albern, wenn sie, um die verschiedenen Realitätsebenen dieses Psychodramas zu verdeutlichen, immer wieder im Schlafanzug durchs Geschehen turnt oder sich in ihre große zerwühlte Bettstatt flüchtet. Der Selbstmord ist da so konsequent wie desillusionierend. Wo die Hagens und Siegfrieds dieser Welt sich moralisch nichts mehr nehmen, wo die Kunst ein (Bayreuther) Traum bleibt und die Liebe eine Täuschung, da hilft scheints auch das Denken nichts mehr.

Oder?

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