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Kultur: Die Wut des Dilettanten

Vom Terror der Gedanken: Dimiter Gottscheff wandelt durch Heiner Müllers Mord-Parabel „Philoktet“ an der Berliner Volksbühne

Am Anfang tut diese Premiere in der Berliner Volksbühne noch so, als sei sie ein ganz normaler Theaterabend. Auf der leeren Vorbühne breitet Sepp Bierbichler im gemütlich-gefährlichen Bierbichler- Bayerisch Heiner Müllers glatt polierte Verse aus. Samuel Finzi gibt den naiv staunenden Neoptolemos und führt schön vor, wie ein treuherziger Junge in kürzester Zeit zum Killer wird. Bierbichler spielt Odysseus, einen klugen Realpolitiker, der sich keine Skrupel leisten kann.

Mit cooler Selbstverständlichkeit und zwingender Logik bohren sich Müllers Verse in die blutige Materie, die „Kunst im Schlachten“, den Mord als Mittel der Politik – bis jede Behauptung von Moral nur als besonders perfide Lüge und Machtstrategie erscheint und der Mensch zusammenschrumpft zu einem „Etwas, zwischen Nichts und Nichts gespannt von arbeitslosen Göttern“. Da ist er wieder, der alte Müller-Sound – lauter trocken abgefeuerte Pathosformeln, die wie selbstverständlich von brechenden Knochen, Blutfontänen, Göttern, Geiern und letzten Schlachten künden.

Es droht ein anstrengender Abend zu werden, eine Lektion in dunkel schimmernder Dialektik, eine Lehrstunde in Machttechnik und Anti-Humanismus. Aber dann tritt Philoktet auf, ein Alter mit gebeugtem Rücken, die weiß gewordene Hippie-Mähne zerzaust zu einer Art Fell. Die seltsame Erscheinung spricht und brüllt und nuschelt Müllers Verse mit schwer schleppendem Akzent vom Blatt. Der wunderliche Alte ist kein Geringerer als der bulgarische Regisseur und Müller-Schüler Dimiter Gotscheff. Zuletzt hat er am Deutschen Theater spröde und trocken „Germania. Szenen“ von Müller inszeniert. Nun, in der Volksbühne, versucht er erst gar nicht, so zu tun, als wäre er ein Schauspieler. Stattdessen: Die Wucht des wütenden Dilettantismus.

Gotscheff tritt in dieser seltsamen „Philoktet“-Aufführung zu Heiner Müllers 76. Geburtstag (am 9. Januar) nicht als Schauspieler auf, sondern als Zitat, als integraler Bestandteil der Legenden, die sich um Müllers Werk ranken – ein Fleisch gewordenes Kapitel aus der Müller-Rezeptionsgeschichte. Denn Gotscheff (Branchen-Spott: „Gott-Chef“) gehört zu „Philoktet“ wie der bolschewistische Politiker Molotow zum gleichnamigen Cocktail. Zu Beginn der Achtzigerjahre hat er die antistalinistische Parabel in Bulgarien inszeniert. Müller feierte die Inszenierung in einem berühmt gewordenen Brief an den unbekannten Regisseur („deine Inszenierung hat mich das Stück neu sehen lassen“) – und formuliert in diesem Brief-Essay eine an Radikalität und illusionsloser Härte schwer zu überbietende Selbstinterpretation seines Stücks.

Der Terror der Gedanken und Ideologien, „das Wort, das Mord wird“ seien der Kern des Stücks, der „Glanz der Sprache“ nichts als ein „Instrument von Herrschaft“. Gotscheffs Inszenierung zeige die „Körper, die dem Massaker der Ideen ausgesetzt sind“. Große Worte, die seither jeder „Philoktet“-Interpretation die Grundmelodie vorgeben. Während man in der Volksbühne Gotscheffs wütendem Durchmarsch durch den Text zusieht und nicht so recht weiß, ob das jetzt unfreiwillig komisch oder in seiner Abgedrehtheit schon wieder großartig ist, ahnt man zumindest, dass in der schaurig bizarren Performance ein seltsames Echo auf Müllers martialischen Brief mitschwingt.

Dem Terror der Gedanken, von dem Müller spricht, entsprechen in „Philoktet“ die hermetisch abgeschlossene Form, die kalt funkelnden Verse, die Ausweglosigkeit der Konstruktion. Genau diese brutale Perfektion unterläuft der offensive Dilettantismus der Volksbühnen-Performance. Spätestens wenn sich Bierbichler breitbeinig in die erste Reihe des Zuschauerraums setzt, sich erstmal ein Weizenbier einschenkt und anfängt, dem armen Gotscheff Regie-Anweisungen zu geben („Du musst es wirklich existenziell hineinbrüllen“), ist Müllers Pathos-Sound gründlich demontiert. Das wäre lustig, wenn die halb geprobte, halb improvisierte Veranstaltung nicht so gnadenlos in reichlich eitle Albernheit kippen würde.

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