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Kultur: Die Zeit, die Zeitung, das Theater

Berlin ehrt Günther Rühle.

Seine Analyse ist messerscharf, sein Wissen stupend, sein Auftreten uneitel. Er hält Reden aus dem Stand, ohne Notizen, und was er sagt, mit seinen 89 Jahren, ist nicht nur druckreif, sondern auch druckfrisch. Soeben hat er den zweiten Band „Theater in Deutschland“ fertiggestellt, 1200 Seiten, der im nächsten Herbst bei S. Fischer erscheinen soll.

Die Verleihung der Rahel-Varnhagen- von-Ense-Medaille gab wieder einmal Gelegenheit, Günther Rühle in Berlin zu erleben. Die Medaille wird vom Land Berlin und der Stiftung Preußische Seehandlung für „außerordentliche Verdienste um das literarische Leben“ in der Hauptstadt verliehen. Zu den Geehrten gehören – seit 1993 – Walter Höllerer, Christa und Gerhard Wolf, Peter Wapnewski, Klaus Wagenbach und Maria Müller-Sommer, die Theaterverlegerin. Auch Rühle kommt von der Bühne zur Literatur. Er kommt aus einer Zeit, als das noch untrennbar zusammenhing und zusammenging, das Literarische und das Theatralische. Und das Politische.

Schon in den Sechzigern gab Rühle das Standardwerk „Theater für die Republik 1917–1933 – Im Spiegel der Kritik“ heraus. Damals schrieb er für das Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dessen Chef er später wurde. Er hat Schwierigkeiten nie gescheut, übernahm in den Achtzigern die Intendanz des Schauspiels Frankfurt, dem er wieder überregionale Aufmerksamkeit verschaffte. Das Theatergenie Einar Schleef fand in Rühle einen starken Mentor. Anfang der Neunziger kam er nach Berlin, schuf im Tagesspiegel ein hauptstädtisches Feuilleton. Damals begann das große Experiment Volksbühne, und das Schillertheater wurde geschlossen.

Nach der Wende erlebte das deutschsprachige Theater seine bisher letzte große Zeit. In Rühles Worten fand nach 1989/90 die von Lessing begründete 200-jährige Theatertradition ein Ende, die sich stets im Konflikt mit den bestehenden Verhältnissen befunden hatte. Theater ist eine „Bewusstseinsmaschine“, die ins Stottern geraten ist, sagt Rühle bei der Feierstunde in der Mendelssohn-Remise, umrahmt von Gipsbüsten und Liedern von Fanny Hensel, die Elke Memmer vortrug, begleitet von Ulrich Eckhardt am Klavier. „Theater ist ein Moloch, eine Hölle, nur nach außen hat es eine Glanzseite.“ Hier spricht der Praktiker wie der Kritiker, und wer sonst kann schon von sich behaupten, er habe beide Seiten an maßgeblicher Stelle besetzt.

In Klaus Völkers Laudatio klingt der Befund von der geschwundenen gesellschaftlichen Bedeutung des Theaters bitter. In der Wertschätzung für Alfred Kerr (1867-1948) wollen sich die beiden Theaterleute überbieten. Völker – und auch Rühle – gehört eigentlich zur Schule von Brecht und des sachlichen Jhering. Doch Kerrs Texte, vor allem jenseits der Theaterkritik, haben besser überlebt als die seines Konkurrenten Herbert Jhering. Dafür hat Günther Rühle gesorgt, als Herausgeber der vielbändigen Kerr-Ausgabe, die immer noch fortgesetzt wird, da neue Schriften auftauchen. Deutsche Theatergeschichte ist Berliner Theatergeschichte. Das gibt der bekennende Hesse Rühle gern zu. Rüdiger Schaper

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