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Kultur: Die zersetzende Kraft der Gewalt

Amerika streitet über Steven Spielbergs Film „München“ und das Olympia-Attentat von 1972

Selten sagte die Reaktion auf einen Film so viel über den Betrachter und dessen politische Position aus wie im Fall von Steven Spielbergs „München“. Als ein „Gebet für den Frieden“ hat der Regisseur und Produzent sein jüngstes Werk bezeichnet, das sich mit der Antwort Israels auf das Massaker bei den Olympischen Spielen 1972 in München beschäftigt. Kritiker und Publikum griffen es schon vor dem offiziellen Start am 23. Dezember in den USA vehement an – als verherrlichend, als vereinfachend, als parteiisch für die palästinensischen Terroristen, als sympathieheischend für die israelische Todesschwadron, die sich an deren Fersen heftete. Jetzt wird erst recht gestritten: Das Feuilleton der „New York Times“ widerspricht den Kollegen von der Meinungsseite, und ein Rabbi in Los Angeles liegt im Zwist mit der Ehefrau eines der Opfer.

Dass er sich mitten in ein Wespennest setzen würde, war Spielberg durchaus bewusst. Von welchen Seiten die heftigsten Attacken kommen, überraschte ihn dennoch. „Blinden Pazifismus“ wirft ein einflussreicher Rabbi in Los Angeles dem Filmemacher vor. Ehud Danoch, der dortige israelische Generalkonsul, sieht einen „künstlichen“ und „mit Vorurteilen beladenen“ Film. Spielberg heuerte prompt einen hochrangigen Berater der israelischen Regierung an, um die heftigsten Angriffe abzuwehren. Sein PR-Team organisierte eine Vorführung für Angehörige der elf Opfer – und bekam, wie erhofft, ein moralisches Gütesiegel. Ilana Romano, Ehefrau des getöteten Gewichthebers Joseph Romano, lässt sich mit den Worten zitieren: „Ich denke, Spielberg hat die Tragödie unserer Angehörigen in eine Milliarde Haushalte in aller Welt gebracht. ,München’ behandelt den Terroranschlag und das Schicksal der israelischen Opfer mit großer Genauigkeit.“

Doch darum geht es gar nicht. Das Missverständnis beginnt schon beim Vorspann. „Inspiriert von wahren Ereignissen“ sei der Film, verkündet Spielberg da und reiht sich ein in das derzeit in Hollywood populäre Genre des Doku-Dramas, das sich an tatsächliche Geschehnisse anlehnt. Zudem liefert Spielberg echte Bilder aus jener Zeit, etwa wenn der Moderator Peter Jennings dem Fernsehzuschauer die traurige Gewissheit verkündet: „They are all gone“ – sie sind alle tot. In den folgenden zwei Stunden bedient sich Spielberg dann aber reichlich locker bei der wahren Geschichte.

Das Drehbuch für „München“ basiert in weiten Teilen auf dem umstrittenen Buch „Vengeance“ von George Jonas. Avner Kauffman, Chef einer fünfköpfigen Gruppe, deren Ziel es ist, die Mörder von München zur Strecke zu bringen, ist bei Spielberg nach dem Vorbild des Buchs geformt. Doch bis heute ist nicht sicher, ob die israelische Regierung ein solches Team überhaupt losschickte. Wahrscheinlich waren es mehrere, sie arbeiteten auch nicht nur ein paar Jahre, wie der Film vermuten lässt, sondern mindestens zwei Jahrzehnte. Die Indizien sprechen zudem dafür, dass ihre Mitglieder nicht als von Zweifeln zerfressene Heimatlose wie Kauffman in Brooklyn oder sonstwo weiterlebten. Wahrscheinlicher ist, dass der israelische Geheimdienst Mossad in der Nach-München-Ära länger und kaltblütiger tötete, als der ohne Hintergrundwissen ausgestattete Kinobesucher auch nur ahnen kann.

Spielberg schildert die zersetzende Kraft von Gewalt, die eine sich immer weiter drehende Spirale von Gegengewalt in Schwung hält und dabei die Seelen der Beteiligten zerstört. Aber dann lässt er sein Publikum mit dieser eigentlich banalen Erkenntnis alleine. Er stelle zwar all die schwierigen Fragen, befindet etwa der Kritiker der „Washington Post“, doch er liefere nur die offensichtlichen Antworten.

Dass das Werk dennoch so kontrovers und vehement diskutiert wird, zeigt zweierlei: die tiefe Verbitterung, die jede Diskussion um den israelisch-palästinensischen Konflikt beherrscht, und die Parallelen zum aktuellen amerikanischen Diskurs um den so genannten Kampf gegen den Terror. In beiden Fällen existiert schon lange kein Grau mehr, sondern nur Schwarz und Weiß.

Weil weder die Neokonservativen in den USA noch die Hardliner in Israel es hinnehmen wollen, dass Spielberg dem Bösen ein Gesicht gibt und die Guten langsam zu Bösen werden lässt, lassen sie kein gutes Haar an ihm. Und die andere Seite hält ihm vor, dass er unter dem Deckmantel der Neutralität alleine schon durch die Perspektive des Films Partei für Israel ergreift.

„Das Einzige, was den Nahost-Konflikt lösen kann, ist Vernunft, hinsetzen und diskutieren, bis die Köpfe rauchen“, sagt Spielberg in einem Interview mit dem „Time Magazine“. Das klingt zugleich wie eine Anleitung zu seinem Film. So ästhetisch und erzählerisch elegant er auch sein mag und so groß zugleich seine Schwächen als fiktiv verwobenes Stück Zeitgeschichte sind – er sollte der Anfang eines Dialogs sein, nicht schon wieder dessen Ende. In Deutschland kommt „München“ am 26. Januar in die Kinos.

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