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Kultur: Die Zeugen Jehovas: Gütesiegel für den Glauben

Das Verhältnis von Religion und Staat in Deutschland war schon mal einfacher. 1919 zum Beispiel.

Das Verhältnis von Religion und Staat in Deutschland war schon mal einfacher. 1919 zum Beispiel. Rund 95 Prozent der Bevölkerung waren bekennende Christen. In jenem Jahr vollzogen die Väter der Weimarer Reichsverfassung die Trennung von Staat und Kirche - einvernehmlich, denn auf beiden Seiten wusste man, woran man war. Die Politik garantierte den Glaubensleuten dafür ein wenig Teilhabe an der staatlichen Hoheit: den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts, festgeschrieben in Artikel 137 der Reichsverfassung. Im Blick hatte man natürlich nur die großen Kirchen. Aber die politische Linie verlangte eine Formulierung, die alle Konfessionen einbezog.

Sie gilt noch heute im Grundgesetz. Damit verbunden sind eine ganze Reihe von Privilegien. Das wichtigste Privileg ist ideeller Natur. Der "Korporationsstatus" ist die staatliche Weihe einer Religionsgemeinschaft. Eine Art Gütesiegel. Das macht ihn so begehrt.

"Erstmals verbindliche Regeln"

In Weimarer Zeiten dachte noch niemand an die Blüte der Sekten, die massive Einwanderung von Moslems, an religiöse Bekenntnisse russischer Aussiedler. Dürfen diese Gemeinschaften auch einen kleinen Staat im Staate bilden, so wie die christlichen Kirchen hier zu Lande? Der Fall der Zeugen Jehovas ist musterhaft. Nicht nur ihr Prozessvertreter in Karlsruhe, der Frankfurter Rechtsanwalt Hermann Weber, hofft, "dass das Gericht zum ersten Mal verbindliche Regelungen aufstellt". Auch viele islamische Gemeinschaften und nicht zuletzt die deutschen Scientologen warten darauf.

Die Zeugen Jehovas waren nahe dran. Sie klagten sich erfolgreich durch die Instanzen und scheiterten erst 1997 am Bundesverwaltungsgericht. Die Berliner Richter hatten zu kämpfen. Die Zeugen brachten alles mit, was eine Körperschafts-Religion so braucht: Tradition, zahlreiche Mitglieder und sogar die nötige "Rechtstreue", die zwar das Grundgesetz nicht fordert, die aber allgemein als Voraussetzung gilt. Das Urteil baute jedoch eine neue Hürde auf: Loyalität zum Staat. Wer in den Status einer Körperschaft gelangen will, von dem darf man "erwarten, dass er die Grundlagen der staatlichen Existenz nicht in Frage stellt".

Zukunft Kirche e.V.?

Gemeint war das strikte Nein der Glaubensgemeinschaft zu Wahlen. Zeugen Jehovas erkennen Regierungen als gottgewollte Obrigkeit an und sehen sich selbst zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Erhalten Religionsgemeinschaften den staatlichen Segen nur, wenn ihre Gläubigen wählen gehen? Juristen wie Hermann Weber wenden ein, dass der deutsche Verfassungsstaat schließlich niemanden an die Urnen zwingen kann. Nichtwählen könne Ausdruck der grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit sein. Doch auch dieses Argument wurde gekontert. Immerhin lege die Verfassung ihrem Volk die "Verantwortung auf, ihr Wahlrecht auch tatsächlich auszuüben", heißt es in dem Urteil von 1997. Unterstützung erhielt diese Position von der Bundesregierung. Sie wurde im Karlsruher Verfahren um eine Stellungnahme gebeten und bekannte sich ebenfalls zum neuen Kriterium "Staatsloyalität".

Der Streit um das Körperschaftsrecht zeigt, wie unscharf in der modernen Bundesrepublik die Grenze zwischen Kirche und Staat in Wahrheit verläuft. Beschleunigt durch den kulturellen Wandel und gemessen am starken Grundrecht der Glaubensfreiheit wird man sich irgendwann entscheiden müssen: Weiter auf diesem Weg, mit staatsnahen Glaubensorganisationen - dann aber mit größerer Offenheit gegenüber anderen Religionen - oder die Kirche wird Privatangelegenheit, in derselben Rechtsform wie ein Sportverein.

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