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Kultur: Die zwölfte Frau

Nah dran: Sung-Hyung Cho dreht einen Dokumentarfilm über die deutschen WM-Fußballerinnen

Als der Schlusspfiff in Wolfsburg ertönt, ist Sung-Hyung Cho am Boden zerstört. Seit Dezember hat die Dokumentarfilmerin das deutsche Frauenfußball-Nationalteam begleitet und beobachtet, wie die Spielerinnen trainieren, um Weltmeister zu werden. Zum Viertelfinalspiel gegen Japan ist die 45-Jährige nicht mitgereist, stattdessen filmt sie Fans in Frankfurt am Main, die im Fernsehen mitansehen müssen, wie die deutschen Frauen mit 0:1 ausscheiden.

„Ich war unendlich traurig, weil ich mich total in die Situation der Spielerinnen hineinversetzt habe“, sagt Sung-Hyung Cho. „Sie haben sehr lange gesät – die WM sollte die Ernte sein.“ Während ihr Team weiterdreht, steht sie in einer Ecke und weint, aus Mitgefühl mit der Mannschaft. Ihr erster Gedanke: So ein frühes Ausscheiden haben die Spielerinnen nicht verdient. „Erst später kam dann der zweite Gedanke“, sagt die deutsch-koreanische Regisseurin: „Mist, was ist jetzt mit dem Film?“

Am 11. November wird Sung-Hyung Chos Dokumentation „11 Freundinnen“ in die Kinos kommen. Es ist ihr dritter Dokumentarfilm für die große Leinwand. In ihrem Debüt „Full Metal Village“ hatte sie beobachtet, wie das holsteinische Dorf Wacken die alljährliche Festivalinvasion von Heavy-Metal-Fans bewältigt. Nachdem ihr Erstling 2007 auf dem Saarbrücker Nachwuchsfilmfestival den Max-Ophüls-Preis erhielt, wurde er ein regelrechter Publikumserfolg. In „Endstation der Sehnsüchte“ ging es zwei Jahre später um ein deutsches Dorf auf einer koreanischen Insel, in dem sich koreanisch-deutsche Ehepaare zur Ruhe setzten. Eigentlich beschäftigt sich die in Korea geborene Cho, die zum Studium nach Deutschland kam, also mit Heimat, mit der Begegnung zwischen fremden Kulturen. Sport und Fußball interessierten sie bisher eher nicht. Aber ihre Spezialität ist der genaue Blick auf Feste und Feiern, auf das rituelle Verhalten der Menschen, da passt Fußball gut ins Bild.

Dennoch war ihre Begeisterung zunächst gering, als ihr das Projekt „11 Freundinnen“ vorgeschlagen wurde. „Ich dachte: Es gibt schon so viele Fußballfilme – warum noch einer?“ Sönke Wortmann hatte für „Deutschland – ein Sommermärchen“ die Männer-Nationalmannschaft bei der WM 2006 begleitet, ein Jahr später verewigte Regisseurin Britta Becker den zweiten WM-Titel der deutschen Frauen in „Die besten Frauen der Welt“. Cho mochte beide Filme nicht, inzwischen findet sie sie großartig. Eigentlich würden Wortmann und Becker keine Geschichten erzählen, sondern seien „Making ofs“ der WM-Turniere. Wortmann habe etwas Großartiges geleistet, es sei schließlich nicht einfach, sich so ins Team einzugliedern.

Zu Beginn der WM-Vorbereitung wurde Cho vom Deutschen Fußball- Bund erst einmal eingekleidet. Sie sah nun aus wie die Fußballerinnen und die Betreuer, war nun Teil des DFB-Trosses. „Ich habe mich sehr geehrt gefühlt, dass ich im gleichen Trikot rumlaufen durfte“, sagt sie und ist mit Trainingsanzügen und Trikots nun bis zu ihrem Lebensende versorgt. Während der Trainingslager fiel die zierliche Frau trotzdem schnell auf, wegen ihrer geschwungenen Sonnenbrille und den Fahrradhandschuhen, die sie trug, um ihre kleine Kamera bequemer halten zu können. Es habe viel Fingerspitzengefühl verlangt, die Spielerinnen nicht zu stören, sagt sie. Dennoch hatte sie fast überall Zutritt. Auch wenn die Mittelfeldspielerin Fatmire Bajramaj der Torhüterin Nadine Angerer die Augenbrauen zupfte, war sie dabei.

Sung-Hyung Cho wurde Teil der Mannschaft. Dabei hatte sie vor einem guten Jahr noch keine Ahnung von Frauenfußball. Ihr erstes Länderspiel sah sie im Februar 2010, ein 3:0 gegen Nordkorea, eine Initialzündung. „Da konnte ich beobachten, was es für unterschiedliche Typen in der Mannschaft gibt“, sagt sie. Es habe riesige Frauen gegeben, „wie dieses Germania-Denkmal im Niederwald“. Und ganz zierliche Sportlerinnen. Erst da erfuhr Cho, dass die meisten Spielerinnen auch noch arbeiten gehen.

Auch das wird in ihrem Film zu sehen sein, das Privatleben ihrer Protagonistinnen, mit Studium und Beruf. Genauso wie die Qualen der Trainingslager. Cho fand es unrealistisch, dass in Wortmanns „Sommermärchen“ alle immer gut gelaunt sind, in den Pool springen, Playstation spielen. „Ich habe die Frauen anders erlebt, die haben wirklich hart gearbeitet.“

Natürlich spielen auch die Partien der Weltmeisterschaft eine Rolle, im Zentrum des Films sollen aber die Persönlichkeiten der Elf stehen. Sportfilme sind meistens Jubelfilme, aber „dieser Film wird anders“, sagt Cho. Kein Turnierfilm eben: Die WM selbst wird nur einen kleinen Teil am Ende einnehmen, quasi als Höhepunkt. Der krönende Abschluss der Weltmeisterschaft ist allerdings ausgeblieben, deshalb könnte es sein, dass das Publikumsinteresse an den Verliererinnen schnell nachlässt. „Wenn die deutsche Mannschaft den Titel gewonnen hätte, hätten wir diesen Boom ein wenig mitnehmen können“, gibt Cho zu. Deshalb legt sie die Geschichte nun etwas anders an – und nicht weniger spannend.

Da sie beim Viertelfinale nicht in Wolfsburg war, konnte Sung-Hyung Cho die Tränen der deutschen Spielerinnen nicht filmen. Macht nichts: Die Trauer im Stadion habe man im Fernsehen gesehen, da müsse man nicht auch die Trauer im Hotel zeigen. Es wäre voyeuristisch. Ihre eigene Niedergeschlagenheit hat Cho mittlerweile überwunden. „Mein Mann hat mich damit getröstet, dass eine Niederlage dem Film mehr Tiefe geben kann.“

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