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Kultur: Diese Woche auf Platz 2 Sting

„Sacred Love“

HITPARADE

Es gab eine Zeit, da war Sting der nachdenklichste Mann im Showgeschäft. Er appellierte an machtbesessene Politiker. Er erinnerte uns daran, wie zerbrechlich wir sind. Im Fernsehen tanzte er mit Frauen, deren Männer in den Folterkammern südamerikanischer Militärdiktaturen verschwunden waren, und bei seinen Konzerten führte er bunt geschmückte Indianer vor, um auf die Zerstörung des Regenwaldes aufmerksam zu machen. Leider konnte seine Musik nur selten mit seinem Sendungsbewusstsein mithalten. Auf seinen Alben badete er in der eigenen Virtuosität. Er verzichtete auf vordergründige Effekte zugunsten eines lahmen New Age-Pops, den er mit Jazz- und Ethno-Elementen aufmotzte. Und er nervte mit unfassbar prätentiösen Texten.

Inzwischen hat der Prototyp des verantwortungsvollen Stars die 50 hinter sich gelassen. Er hüllt sich in weiße Gewänder und zeigt erste Anzeichen von Alterslüsternheit. Auf der Suche nach Transzendenz hat er die Kraft der Liebe neu entdeckt: „Es gibt keine Religion, nur Sex und Musik“, gibt er uns im Takt orientalischer Rhythmen zu verstehen. Gleich zu Beginn seines neuen Albums verkündet Sting: „Liebe ist das Kind eines endlosen Krieges, Liebe ist eine Explosion, Liebe ist das Feuer der Welt.“ Leider versäumt er es einmal mehr, diese schönen Erkenntnisse mit angemessener Vehemenz vorzutragen. Mit überpeniblen Arrangements und einem merkwürdig monochromem Sound nimmt er sich den Wind aus den Segeln. Lediglich im Duett mit der Soul-Königin Mary J. Blidge springt der Funke über. „Whenever I Say Your Name“ hinterlässt den Eindruck, als hätten Sting und seine Partnerin sich nach Abschluss der Aufnahmen gegenseitig die Kleider vom Leib gerissen. Die „Washington Post“ sah sich von dieser Tantra-Ballade zu der Überlegung veranlasst, ob die Amerikaner womöglich keine andere Außenpolitik, sondern einfach nur besseren Sex brauchen.

Heiko Zwirner

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