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Kultur: Dieser Teufel hat Gefühl

Dass der junge Goethe allen Sinnenfreuden zugetan war, hat er in seinen ersten Weimarer Jahren zur Genüge bewiesen. Was er an dichterischen Entwürfen in die Stadt mitbrachte, zeugte von jugendlichem Übermut, Lust an der Provokation und erotischem Gelüst - wie sein „Urfaust".

Dass der junge Goethe allen Sinnenfreuden zugetan war, hat er in seinen ersten Weimarer Jahren zur Genüge bewiesen. Was er an dichterischen Entwürfen in die Stadt mitbrachte, zeugte von jugendlichem Übermut, Lust an der Provokation und erotischem Gelüst - wie sein „Urfaust". Dieser Text wäre vergessen, wenn ihn nicht das kluge Hoffräulein von Göchhausen nach der Lesung im Winter 1775/76 abgeschrieben hätte.

Was in der Aufführung des carroussel-Theaters mit Wut gegen den feig-bürgerlichen, bildungsbeflissenen Umgang mit dem Genius von Weimar beginnt, wird drastisch, böse weitergetrieben. Auf einem nackten Vorstadt-Platz, vor einem elliptisch geformten Bretterzaun mit einem Podest auf der linken Seite lässt Regisseur Uwe Cramer eine Geschichte abrollen, die sich um ausgeklügelte Motivationen nicht schert - sie ist aufgeregt, laut und schrill, liefert komödiantischen Klamauk in Fülle und findet doch unvermittelt zur Stille.

Cramer will mit auftrumpfender Konsequenz Naivität, jugendliches Draufgängertum und ethische Gedankenlosigkeit behaupten. Mephisto, einer Schauspielerin anvertraut, ist deutlich in Faust verliebt, will ihn für sich haben und von Gretchen wegbringen. Der Schüler tritt in doppelter Gestalt auf, das ergibt eine heiter-zornige Slapstick-Nummer um Lust am Leben und die Qualen des Lernens.

Hinter dem Bretterzaun, in Marthes Garten, geschieht Unzüchtiges - Bein- und Unterkleider müssen gerichtet werden, wenn sich die Akteure wieder ins Öffentliche wagen. Um Liebe muss nicht lange gebettelt werden, sie ist einfach da, als Drang und Trieb. Gretchen will ihren Faust, von Anfang an. Und natürlich wird gesungen und getanzt, Mikrofone sind aufgebaut, eine Feuerwehrkapelle spielt mit, auch wenn sie nur aus zwei, höchst mitfühlend arbeitenden Musikern besteht - es muss gespart werden, auch bei Goethe.

Und dann gibt es die ergreifende Szene vom Tag des Zorns, mit dem ganzen Spielensemble um das verzweifelte Gretchen - eine stille Anklage gegen das Leid in der Welt.

Unter den Darstellern ragt der Mephisto der Birgit Berthold heraus - auf die Bühne kommt ein schmales Persönchen von geschliffener Intelligenz und untadelig weltmännischer Haltung, biegsam und überlegen spöttisch. Dieser Teufel hat Gefühl, er ist spürbar beteiligt an der merkwürdigen Menschenwelt, möchte ein Teil von ihr werden. Ralph Hensels langmähniger Faust dagegen zeigt eine zu gleichförmig nervöse Erregung, er protestiert gegen sich und die Welt. Sanam Afrashthe verzichtet als Margarete auf jede Zartheit und Lieblichkeit. Sie zeigt das Mädchen fordernd, begierig auf Glück und Leben, gibt ihm eine kräftige Sinnlichkeit, und fängt das Ungestüme am Ende in einer berührenden Schlichtheit gegenüber dem Unabänderlichen ab. Christoph Funke

Kesselhaus in der Kulturbrauerei, bis 24. Juli. 19., 20. und 21. Juli 21.30 Uhr, 22., 23. und 24. Juli 20.30 Uhr

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