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Dieter Hackers Installation „Wie beschissen finde ich Deutschland“ mit Amateurfotografien.

© Carolin Jörg

Dieter Hacker im Bröhan-Museum: Die Perlen und der Müll

Dieter Hacker analysierte einst das politische Potenzial von Amateurfotografie. Jetzt zeigt das Bröhan-Museum sein hellsichtiges Werk.

Als der Künstler Dieter Hacker 1974 anfing, Amateurfotografien zu analysieren, hatte er einen Traum. Der gebürtige Augsburger stellte sich vor, dass man die Menschen dazu bringen könnte, ihre privaten Knipsereien als politisches Werkzeug zu verstehen. Der Amateur sollte sich der Möglichkeiten der Fotografie bewusst werden, zeigen was ist oder was sein soll – in etwa so. Als Hacker kürzlich seine Ausstellung „politisch fotografieren (1974- 1981)“ im Bröhan-Museum eröffnete, gab er zu: „Meine Vision ist gescheitert.“ Wie Leonardo da Vinci seine Luftschraube nicht zum Fliegen gebracht habe, so sei es auch ihm nicht gelungen, die Menschen für die Möglichkeiten der Fotografie zu sensibilisieren. Heute werden jede Sekunde tausende von Bildern geknipst, hochgeladen und verbreitet. Von wegen bewusster Einsatz des Mediums!

Man kann Dieter Hacker, den man heute überwiegend als Maler kennt, getrost als Found-Footage-Pionier bezeichnen. Er kaufte Familienalben auf Flohmärkten und bei Wohnungsauflösungen oder ließ sich Bilder schenken. Ab Mitte der siebziger Jahre veröffentlichte er zusammen mit Andreas Seltzer sogar die Zeitschrift „Volksfoto – Zeitung für Fotografie“, in der er Privatfotos veröffentlichte und kommentierte.

Tausende von Fotos auf dem Boden

Die Bilderflut gab es schon im analogen Zeitalter. Hacker verdeutlicht das mit einem Raum, in dem der Boden mit tausenden von Fotos bedeckt ist. Einige Schneisen sind freigelassen, damit Besucher sich ihren Weg durch die Aufnahmen bahnen können. Eltern und Kinder in 70er- Jahre-Klamotten sind darauf zu sehen, Haustiere und jede Menge Geburtstagsfeiern. An der Wand hängen Fotos, die Hacker aus der Flut der Bilder ausgewählt hat, etwa zwei Männer, die sich und ihre kahlrasierten Schädel inszenieren. Oder eine Aufnahme des DDR-Politikers Robert Havemann, die zeigt, wie er bei einer „Unterschriftensammlung zur Ächtung der Atombombe 1950“ festgenommen wird. „Alle Macht den Amateuren“ lautet der kämpferische Titel der Installation. Man sollte sich die Mühe machen, das Banale vom Besonderen zu trennen, die Perlen zu finden, so Hackers Appell, der durchaus auch in Internetzeiten noch gilt. Besser wäre es, sich den großartigen Inhalten zuzuwenden, und nicht dem Müll. Aber obwohl das Bewerten in den sozialen Netzwerken selbstverständlich dazugehört – besonders differenziert sind die Urteile nicht. Statt des Like-Buttons hätten wir vielleicht von Beginn an Kriterien wie „gesellschaftlich relevant“ oder „künstlerisch interessant“ gebraucht.

Die ästhetischen Kriterien haben sich verändert

Hackers Ausstellung geht zurück in eine Zeit, als man Fotos noch zum Entwickeln brachte und gespannt war, was auf den Bildern drauf ist. Das wirkt ja heute total skurril. Die Installation „Geprüft und für wertlos befunden“ von 1980 beschäftigt sich mit aussortierten Fotos: verwackelte Aufnahmen, angeschnittene Motive. Man erinnere sich: Scheinbar missratene Aufnahmen wurden damals vom Profifotoservice aussortiert und dem Kunden gar nicht erst ausgeliefert, man zahlte schließlich pro Abzug. Vor Hackers Arbeit stehend, versucht man die ästhetischen Kriterien von damals nachzuvollziehen. Natürlich sind wir heute viel toleranter. Schräge Ausschnitte und angeschnittene Ecken sind cool, wir haben gelernt, dass man mit Ästhetik spielen kann. Nur, wozu nutzen wir dieses Wissen?

Kein Land für Abenteurer, trotzdem eine gute Heimat

Jeder Teenager weiß, wie man die Handycam halten muss, damit man im Selfie gut aussieht. Schlimm wird es, wenn absichtlich diffamierende Bilder verbreitet werden. Man kann ja mit Bildern heute viel mehr Schaden anrichten als in den 80er Jahren. Beim Besuch der Ausstellung schwenkt man stets von den analogen Zeiten ins Jetzt. Als würde man die innere Kamera scharfstellen. Man zoomt ein, man zoomt aus. Frühe siebziger Jahre. Hacker fuhr damals gerne mit dem Motorrad nach „Westdeutschland“, um zu finden, was er in Berlin vermisste: Natur, unerwartete Tagesabläufe, Überraschungen. In seiner Installation „Wie beschissen finde ich Deutschland“ hat er aus seinem Fundus an Amateurfotografien solche herausgesucht, die sein Empfinden gegenüber seinem Land zum Ausdruck bringen. Denn mitnichten fand Hacker in Westdeutschland das Überraschende. Die Bilder sind gerahmt und stehen auf dem Boden. Es sind Schäferhunde zu sehen, Tannen und Personen, die in Wohnzimmern vorm Fernsehgerät posieren. Der Mief eines verquasten Sonntagnachmittags hängt in ihren Trainingshosen. Hacker hat Recht. Deutschland sah damals nicht aus wie ein Land für Abenteurer. Trotzdem sei Deutschland heute ein Land, in dem er gerne lebe, so der Künstler. Spießigkeit und Fortschritt existierten eben parallel.

Gute Bilder muss man nach wie vor suchen

Man kann eigentlich nicht behaupten, dass Hackers Utopie komplett gescheitert ist. Zumindest hat unser Wissen über Bilder in den letzten Jahren zugenommen. Auch ist die Amateurfotografie öffentlicher und damit politischer geworden. Nur scheint die Relation zwischen Perlen und Müll unverändert. Weiterhin muss man die Perlen suchen, den Müll findet man auch so.

Bis 27.1., Bröhan-Museum, Schloßstraße 1a, Charlottenburg, Di-So 10-18 Uhr

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