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Kultur: Diktator auf vier Pfoten

Puppentheater mit Hitler in der Kulturbrauerei

Die Puppe mit Seitenscheitel will ihn nicht spielen, den Schicklgruber. „I would do very well as Goebbels“, gibt sie zu bedenken. Neville Tranter klebt ihr kurzerhand einen Schnurrbart ins Gesicht. „And who are you representing?“, fragt die Puppe. „Heinz Linge, your servant“, antwortet der Puppenspieler und deutet eine Verbeugung an.

April 1945 im Führerbunker. „Wolfi“, der zum Wolfsmenschen mit seinem Hund Blondi verschmolzene Diktator, feiert Geburtstag. Goebbels’ Kinder warten auf heiße Schokolade, Eva Braun wartet auf ihre Hochzeit, der Propagandaminister beschwört seinen Führer, eine letzte Rede zu halten, und der Tod – als Zauberer im kanariengelben Tüllkleid – wartet auf sie alle. Von ferne hört man die russische Armee. Das Zyankali steht bereit. Mit bitterem Humor und Todesernst haucht Tranter seinen Figuren Leben ein. Oder er lässt sie links liegen, wenn sie nichts mehr zu sagen haben: Das Riesenschwein Hermann Göring, die größte Puppe, die Tranter je gebaut hat, gibt ein röhrendes Liedchen zum Besten und wird dann einfach in die Ecke geschoben.

Neville Tranter hat das Stuffed Puppet Theatre 1976 gegründet und siedelte kurz darauf mit seinen Puppen nach Amsterdam über. Mittlerweile gilt er als ungekrönter König seiner Zunft. In „Schicklgruber alias Adolf Hitler“, einem Höhepunkt des Theaterfestivals „No Limits“, zeigte der gebürtige Australier jetzt in Berlin diesen Totentanz zum Führergeburtstag in einem Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch. Er ist selbst mehr Diener als Spieler seiner Puppen: Er (ver)leiht jeder Figur ihre individuelle Stimme, Gestik, Bewegung und sogar Mimik, was bei Stoffpuppen, die lediglich mit einem beweglichen Unterkiefer ausgestattet sind, absurd erscheint. Tranter bedient die fast lebensgroßen Figuren und tritt selbst – ganz devoter Knecht – völlig hinter ihnen zurück. So erschrecken die Zuschauer mit Goebbels, wenn dieser bemerkt, dass noch jemand anwesend ist, als er von Eva Braun eine verbotene Zigarette annimmt. Bis zu seinem Tod blieb Hitler ein krankhafter Gesundheitsfanatiker, der Nikotingeruch verabscheute. Tranter/Linge wendet sich dann auch diskret ab. Und die Puppen spielen alleine weiter.

Das Festival „No Limits“ ist noch bis 16. Oktober in der Volksbühne und der Kulturbrauerei zu sehen. Heute und morgen spielt das Züricher Theater Hora „Die Lust am Scheitern“ (19 Uhr, Kulturbrauerei), Angela und Nele Winkler lesen heute Andersen-Märchen (20.30 Uhr, Kesselhaus Kulturbrauerei).

Lea Streisand

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