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Recep Tayyip Erdogan in seinem 2014 eröffneten Präsidentenpalast. Er hat 1150 Zimmer.

© AFP

Diktatoren - im Fußball und anderswo: Alle für einen

Der Fifa-König geht, andere mächtige Männer setzen sich weiter in Szene. Woher kommt auch in der modernen Welt die Faszination selbst ernannter Autoritäten? Über den Körper des Königs und die Bereitschaft, der Macht zu huldigen.

Von Caroline Fetscher

Am Ende war ein Wort. Dann noch eins, dann noch eins. Und dann hatte das Publikum begriffen, dass es nun bald ohne den mächtigen Paten der Fifa-Mafia leben wird. In schweizerisch gefärbtem Französisch erklärte Joseph „Sepp“ Blatter der Öffentlichkeit, dass er vom Thron steigt. Er habe „intensiv“ über seine Präsidentschaft nachgedacht, die 40 Jahre, in denen sein Leben untrennbar mit „dem großartigen Sport Fußball verbunden gewesen ist“. Jetzt lege er sein Mandat nieder.

Die Buhrufe und Pfeifkonzerte waren zu laut geworden, draußen, vor dem Fifa-Palast. Drinnen hielt man dem fast 80-Jährigen noch offiziell die Treue. Dann war er weg. Ein Erdbeben in der Sportgeschichte, das FBI will noch nichts sagen, die Börse in Katar wackelt, die Furcht geht um. Was tun, was nun, ohne ihn? Blatters Fußball-Burg hatte oft wegen Skandalen gewackelt, aber irgendwie schienen gerade diese Sensationen Elixier seiner Macht. Kennzeichnend für Mächtige vom Typus Blatter ist die Mischung aus Nonchalance und Kaltschnäuzigkeit, mit der sie zu sagen scheinen: „Right or wrong, mein Reich!“ Das fasziniert, das hypnotisiert die Höflinge und das Volk.

Das Fußballspiel gilt als ein Paradebeispiel für Inklusion und Chancengleichheit – jeder kann es lernen, jeder kann mitmachen, für alle gelten dieselben Regeln, gleich welcher Hautfarbe, Herkunft oder Staatsangehörigkeit. Talent allein entscheidet. Auch wenn einst gebrüllsungen wurde „Es gibt nur einen Rudi Völler …“, das Team bleibt wichtiger als der Einzelne. Es zählt der Charakter der Gruppe, der solidarische Zusammenhalt. Tor oder nicht Tor, das ist die entscheidende Frage, für alle. Die Massen lieben das über die Maßen.

Wer lange oben hockt, den kriegt man nicht mehr weg. In den unteren Etagen profitieren zuviele

Was läge näher, als eine globale Genossenschaft für den Fußball zu gründen, eine Aktiengesellschaft sämtlicher Fans. Jeder Aficionado erwirbt maximal drei Anteile, und schon wären Millionen Weltbürger im Besitz ihres eigenen Fußballsystems. Aber nein, ein mächtiger Mann muss es richten, von hoch oben aus den Bergen der Schweiz verteilt er Privilegien, Pfründen, Gelder, Posten. So war es, so sollte es bleiben.

Inzwischen ist viel gesagt worden über den prädemokratischen Charakter des großen Systems Weltfußballverband. Wenn ein charismatischer Machtmensch, raunten selbst Kritiker, so lange so weit oben hockt, kriegt man den nicht mehr weg. In den unteren Etagen profitieren zu viele, die ihn deshalb stützen. Staatschefs, Pokalgewinner, Reiche und Schöne standen an seiner Seite und festigten sein öffentliches Bild.

Ähnlich gehen andere Inhaber von Macht vor, wenn sie Amt und Person amalgamieren: Nur ich bin der Wahre, der Richtige, der Superman, der geniale Mafiaboss! Oligarchen und postmoderne Diktatoren in Osteuropa führen vor, wie sich Schickeria und der Nimbus der Macht verschmelzen lassen, sie leben verschwenderisch, beuten die Mehrheit der Bevölkerung aus und bedienen eine loyale, in Angst lebende Entourage mit Privilegien. Trotzdem – sie halten sich über Jahrzehnte. Gerade solcher heimlich bewunderter Skrupellosigkeit verdanken Männer wie Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan ihre Unangefochtenheit, ebenso weniger bekannte Staatslenker, etwa der 2006 verstorbene turkmenische Herrscher Saparmurat Nyýazow, der sich „Diamantenkranz des Volkes“ nennen ließ.

Die zwei Körper des Königs - es gibt sie auch heute noch

Wie entsteht und wie wirkt die Aura solcher Machtmenschen? Der Historiker Ernst Kantorowicz beleuchtet in seiner Studie „Die zwei Körper des Königs“ zur politischen Theologie des Mittelalters, wie der dynastische Körper des Königs in der Vorstellung der Bevölkerung doppelt existiert: als übernatürlicher, unsterblicher Träger von Amt und Würden („Der König ist tot – es lebe der König!“) und als natürlicher, sterblicher Körper. Unvergänglich, sterblich bleibt die Autorität, die die Hierarchie als solche für sich einfordert.

Im aufgeklärten, demokratischen Staat wird unterschieden zwischen der öffentlichen Funktion und der sie ausübenden Person. Wenn Großbritanniens Queen wie vor ein paar Tagen in feinem Oxfordenglisch die Regierungserklärung ihres demokratisch gewählten Premiers verliest, erinnert diese Doppelung noch an den alten Körper des Königs. Degradiert zum eingefrorenen Ritual, sorgt der Prozess zugleich für das Eindämmen des Mythischen, er findet statt innerhalb des Containments der Demokratie. Die Queen darf ihr eingehegtes Charisma behalten, die Regierung aber wird vom Souverän bestimmt, der Wählerschaft.

Der Diktator gibt sich als Retter vor üblen Feinen aus - und mäandert ins Messianische

Recep Tayyip Erdogan in seinem 2014 eröffneten Präsidentenpalast. Er hat 1150 Zimmer.
Recep Tayyip Erdogan in seinem 2014 eröffneten Präsidentenpalast. Er hat 1150 Zimmer.

© AFP

Diktatoren der Moderne dagegen verstehen es, als Zwitterwesen zwischen feudalem und modernem, staatlichem Machtanspruch jene Atavismen zu wecken, die dem archaischen Körper des Königs seine Aura verliehen. Prunkvolle Paläste, willkürliche Erlasse, drakonische Strafen für Abtrünnige, grandiose Konvois dunkler Limousinen, messianische Reden, geheimnisvoll abgeschottete Machtzirkel, das und mehr sind die Ingredienzien, die zu Lebzeiten für die Fama des Machthabers sorgen. Man kennt es aus früherer Zeit, von Stalin, Mao, Ho Chi Minh, Enver Hodscha und anderen. Bei jedem Auftritt beschwört der Diktator sein Ansinnen, stets im Dienst der Untertanen zu wirken, und mäandert ins Messianische, wenn er sich als Retter vor ihren üblen Feinden ausgibt. Und nach seinem Ableben defiliert das Volk am aufgebahrten, einbalsamierten Körper vorbei, den im Mausoleum die Ewigkeit einer Pilgerstätte erwartet.

Heute lassen sich überall dort, wo noch oder wieder prädemokratische Machtstrukturen herrschen, solche Aura-Zutaten finden, ergänzt um technizistische Machtbeigaben und gestützt vom manipulierten Medienapparat. Beim neo-osmanischen türkischen Premier Erdogan ist das zu beobachten, im Kreml unter Wladimir Putin oder in Ägyptens System unter Staatspräsident al Sisi, gerade auf Staatsbesuch in Berlin. Mit der gelenkten Fixierung auf den „einen Mann“ an der Spitze, den Unersetzbaren und Einzigartigen, wird die Regression der Bürger befördert. Solange sie dem Herrscher abnehmen, dass er sie vor Gefahren bewahrt, lässt sich die Masse für ihn mobilisieren – alle für einen, denn der eine ist für alle.

Die gelenkte Fixierung auf den einen Mann befördert die Regression der Bürger

Nun ist ein Funktionär wie der vergleichsweise biedere Sepp Blatter kein echter Diktator. Ebenso wenig lässt sich das für Öl-Tycoons oder Konzernchefs sagen, die zwar einzelne Ingredienzen der Aura-Produktion nutzen, deren Machtfülle jedoch auf partikulare Territorien und Apparate begrenzt ist. Sie arbeiten mit auf die Position zugeschnittenen Varianten des Narzissmus. Dem geht es in erster Linie ums Imponieren und Einschüchtern. „Ich kann das wie keiner, ich mach das für euch!“ So klingt der erste Ruf in Richtung Thron. (Weniger empfehlenswert, aber auch möglich: „Ich will da rein!“)

Dem Moment, in dem die Macht idealerweise ergriffen werden kann, gehen oft große, verunsichernde Umbrüche voraus. Wie biografische, seelische Erschütterungen beim Individuum zu Regression führen können – zur Suche nach Sicherheit, mütterlicher Geborgenheit, väterlicher Führung –, so ergeht es auch der Großgruppe, der Gesellschaft. Dabei kann es sich um negative Umbrüche handeln, um Wirtschafts- und Bankenkrisen oder Systemwechsel. Es kann aber auch eine positive oder schlicht technische Veränderung sein, etwa der plötzliche Reichtum durch den Fund fossiler Energieträger wie in Nigeria oder Katar, oder der Boom an Möglichkeiten zur globalen Vermarktung von Events wie beim medialisierten Fußball.

Wo viel Neues passiert, wird Orientierung gebraucht. Einer wie Blatter erkannte, was sich da machen lässt. Narzissmus, Courage, Kalkül, Draufgängertum und eine Portion Skrupellosigkeit, das waren die Grundpfeiler seines Systems und seiner Position, mit kleinen Anleihen aus der Schule der Diktatoren. Aber auch Blatter musste lernen: Das geht nur gut, solange die Leute bereit sind, des Königs fehlende Kleider als des Königs neue Kleider zu sehen. Alles hat seine Zeit.

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