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Dimitri Hegemann: "Der Tresor war ein historischer Volltreffer"

Neun Monate nach dem Ende des Tresors kommt jetzt ein Dokumentarfilm über den Berliner Techno-Club ins Kino. Ein Interview mit Gründer Dimitri Hegemann.

Dimitri Hegemann (50), der eigentlich Dietmar-Maria Hegemann heißt, entdeckte Anfang 1991 die unterirdische Stahlkammer des ehemaligen Kaufhauses Wertheim in der Leipziger Straße. Der damals 35-Jährige gründete dort den Techno-Club Tresor, der trotz aller Widrigkeiten 14 Jahre lang existierte und dank des dort gespielten unverfälschten Techno zu einer weltbekannten Institution wurde.

Herr Hegemann, am kommenden Mittwoch läuft im Babylon Mitte der Dokumentarfilm "Tresor Berlin: The vault & the electronic frontier". Werden Sie sich den Film anschauen?

Ach, ich glaube nicht. Ich weiß gar nicht, was Mike Andrawis da zusammengeschnitten hat. Wenn ich mich da plötzlich selber reden sehen würde, wäre mir das peinlich. Außerdem habe ich das Ende des Tresors noch immer nicht ganz weggesteckt.

Wie lief denn der letzte Tag, die letzte Nacht im Tresor ab?

Punkt 12 Uhr mittags am letzten Tag haben wir die Lichtreklame draußen abnehmen lassen. Ich stand auf der Leipziger Straße und habe salutiert. Es war der Moment, an dem das "Schiff" Tresor zu sinken begann. So gegen ein oder zwei Uhr in der Nacht habe ich die letzte Platte aufgelegt. "I love you" von Juan Atkins. Dann haben wir die Musik ausgemacht. Das Licht ging aus - und das wars.

Jetzt wird auf dem Gelände ein Gebäudekomplex der Volksfürsorge gebaut. Keller und Stahlkammer sind verschwunden. Haben Sie irgendetwas aus dem Tresor gerettet?

Die Stahlkammer haben wir komplett ausgebaut und in das ehemalige Heizkraftwerk in der Köpenicker Straße gebracht. Leider ging dabei eine der Türen kaputt, weil Grabräuber, die nach der Schließung des Tresors dort eine letzte Party gefeiert hatten, die Tür nicht wieder geschlossen hatten. Außerdem habe ich ein Stück des Dancefloors herausgesägt und mitgenommen. Es trägt den Titel "50.000 Stunden Techno". So lang wurde der Tresor bespielt.

50.000 Stunden. Das führt uns an den Anfang der Tresor-Geschichte. Ins Jahr 1991.

Die Geschichte begann eigentlich schon früher. 1987/88 kam Chicago-House mit Marschall Jefferson und solchen Leuten auf und wir entdeckten diese neue Euphorie zu tanzen. Das Publikum war plötzlich der Künstler. Da machten wir in Kreuzberg das Ufo auf - ein Club, der wegen der Lautstärke ziemlich bald wieder schließen musste. Dann fiel die Mauer, und die ganze Stadt lief sehr aufgeregt durch die Gegend. Der Westen wollte den Osten erkunden und umgekehrt. Gleichzeitig schwappte der harte Techno-Sound aus Detroit rüber.

In dieser Zeit suchten Sie einen neuen Raum für einen Club?

Ja, für uns stand fest, dass wir einen neuen Club machen wollten. Wir hatten das Gefühl, dass es in Berlin eine große Bereitschaft gab, diesen "minimal techno", der im Gegensatz zu Acid-House ohne Vocals auskam und eine ganz andere Härte hatte, zu zelebrieren.

Wie kamen Sie auf den Tresor?

Anfang 1991 standen wir einmal zufällig auf der Höhe des späteren Tresors. Die Leipziger Straße war einspurig, der Potsdamer Platz war ein brach liegendes Feld. Wir sahen eine alte Baracke und sagten uns: "Das könnte unser Club sein." Wir haben uns den Schlüssel besorgt - in der Baracke war damals ein Diplomatenladen drin und ein Lager der Firma "Interflug". Bei der Besichtigung haben wir diese Tür hinter einem Regal entdeckt. Wir brachen sie auf, und Treppen kamen zum Vorschein. Da sind wir mit Kerze und Feuerzeug runter. Wir fanden einen riesigen Keller, 500 Meter lang. Wir sind dort unten herumgeirrt und standen plötzlich in dieser Stahlkammer. Es war, also würde man den Einstieg in eine Pyramide finden. Später habe ich dann herausgefunden, dass diese Kammer 1926 von Wertheim eingebaut wurde. Es soll sechs solcher Stahlkammern in Berlin gegeben haben.

Nur drei Monate später, im März 1991, machte der Tresor auf. Schon am ersten Tag gab es eine Schlange vorm Eingang. Wie kam das?

Damals gab es andere Netzwerke. Die Techno-Szene existierte ja bereits, die Kommunikation lief über die Plattenläden und Flyer.

Mussten Sie viel umbauen, um den Tresor als Club nutzen zu können?

An den Räumen selbst mussten und wollten wir gar nichts machen. Räume müssen von sich aus funktionieren, ohne dass man was umbaut. Du kommst rein - und alles ist fertig. So war es beim Tresor. Einige Teile des Kellers mussten wir wegen der Auflagen allerdings zumauern. Zum Glück hatte ein Banker genug Phantasie und sagte: "Berlin, Trümmerstadt, und jetzt diese Ruine. Das könnte passen." Er gab uns 20.000 Mark. Das hat uns geholfen.

Der Tresor wurde ziemlich schnell zu einer Institution. Warum?

Das lag an unserem unverwechselbaren Stil, an dem unverfälschten harten Techno, der bei uns aufgelegt wurde. Als der junge Mills kam und die Platten nur so auf seine drei Teller schmiss, standen die Leute da und haben gedacht, das ist ein Außerirdischer, wo kommt der denn her? Es ist einer unserer großen Verdienste, dass wir diese Brücke nach Detroit aufgebaut und gepflegt haben.

Der Tresor war ein historischer Volltreffer. Der Mauerfall war ein Geschenk des Himmels, alle Aktivisten rasten nach Ostberlin und suchten dort ihre Freiräume, denn in Westberlin gab es keinen Platz mehr. Im Osten war dagegen noch alles möglich. Noch heute suchen die Leute, die nach Berlin kommen, diese Freiräume - und finden sie nicht mehr. Heute ist es wesentlich aufgeräumter.

Der Tresor hat länger überlebt als viele andere Clubs. Warum?

Die durchschnittliche Clublebensdauer liegt bei drei bis fünf Jahren. Viele haben den Fehler gemacht, mit ihrem Publikum zu altern. Wir haben dem entgegen gewirkt, indem wir uns beispielsweise für Nachwuchs-DJs geöffnet haben. Bei uns lag das Durchschnittsalter der Gäste bis zum Schluss bei 18 bis 24 Jahren. Das muss man sich mal vorstellen: Die Leute, die 2005 bei uns waren, waren gerade mal vier, als der Tresor gegründet wurde.

Waren Sie eigentlich jeden Abend im Tresor?

Die ersten drei, vier Jahre schon. Das war eben mein Lebensinhalt, was sollte ich sonst machen? Aber nach fünf Jahren feiern warst du echt durch, nicht verbrannt, aber du bist nicht mehr zu jeder Veranstaltung gegangen. Dann bist du nur noch da, wenn Leute aus alten Zeiten vorbeikommen.

Gab es für Sie eine unvergessliche Tresor-Nacht?

Es gab viele, aber die sind persönlicher Natur. Am Schönsten fand ich es immer, wenn uns eine Schulklasse besucht hat, irgendwelche Kids aus Reutlingen oder so. Mit welchem Glücksgefühl die diese Räume erlebt haben. Toll. Lustig war, dass wir einmal aus Versehen eine Frau eingeschlossen haben. Zwei Tage lang. Das war ja der sicherste Club der Welt, da kam man nicht mehr so schnell raus. Aber die fand das in Ordnung. Zu trinken gabs ja genug und Obst war auch da. Aber am dritten Morgen hat sie die Feuerwehr angerufen. So kam die Sache raus.

Trotz seines Erfolgs schwebte über dem Tresor immer das Damoklesschwert. Haben Sie nicht ständig nach anderen Räumen gesucht?

Wir haben wir uns immer umgeschaut, zum Beispiel auch in den Räumen, wo heute das "Maria am Ufer" ist. Wir wussten ja nie, wie lange es noch gut geht. Wir bekamen insgesamt fünf oder sechs Kündigungen - und die ganzen 14 Jahre über bekamen wir immer nur Dreimonats-Verträge. Unsere Maxime war aber: Wir bleiben, bis die Bagger kommen.

Die kamen bekanntlich 2005. Wäre die Schließung zu verhindern gewesen?

Man hätte uns seitens der Stadt sicher mehr unter die Arme greifen können, so wie jetzt zum Beispiel bei den Kudamm-Bühnen. Aber insgesamt danke ich der Stadt auch, dass so etwas wie der Tresor überhaupt machbar war. In London kannst du so etwas nicht so einfach aufziehen.

Warum zogen Sie nicht in den Pfefferberg? Das war doch geplant, oder?

Der Pfefferberg war in der Tat ein faszinierender Raum. Nur mit dem ganzen Bio- und Öko-Image konnte ich nichts anfangen. Der Ort ist dadurch so verbrannt, deshalb wollte ich das alles schließen und eine neue, eigene Welt schaffen. Aber die Umbaumaßnahmen wären viel zu aufwändig gewesen.

Wir es den Tresor irgendwann wieder geben?

Ich würde den Tresor am liebsten in dem alten Heizkraftwerk in der Köpenicker Straße wieder aufbauen. Die Stahlkammer ist ja schon da. Dort könnte das Tresor-Image weiterleben. Aber das Tolle wäre: Zusätzlich hätten wir 20.000 Quadratmeter für andere Sachen. Der Club wäre nur ein kleiner Teil.

Was könnte im restlichen Teil stattfinden?

Mir schwebt so etwas wie das "Tate Modern" in London vor. Diese Galerie war ja auch mal ein Kraftwerk. Ich würde in der Köpenicker Straße gern etwas mit Licht machen, einen Raum der Ruhe aufbauen.

Ein Raum der Ruhe - wollen Sie mit Musik nichts mehr zu tun haben?

Ich bin ehrlich. Ich bin 50 und kann nicht mehr den Techno-Jünger spielen. Ich denke, dass ich vielen Leuten damit einen Gefallen tue. Der Raum des Kraftwerks ist sensationell. Eine einfache Großraumdisco würde mich total langweilen.

Wie sicher ist der Deal?

Leider wird der Vermieter jeden Tag komplizierter. Der versteht nicht, dass ich dort einen Ruheraum und keine Riesendisco bauen will. Zurzeit ist es sehr zum Ärgern. Ich hoffe nicht, dass das Projekt so endet, wie viele meiner letzten Projekte. Ich musste so viele Dinge wieder in die Schublade stecken.

Was für Projekte waren das?

Erst mal der Tresor-Tower, eine Spezialimmobilie für Unternehmer aus branchennahen Kreisen, wurde komplett geplant, aber nicht gebaut. Der Investor geriet in Turbulenzen. Die Curious George Kinderbücher über einen neugierigen humanen Affen, die ich publiziert habe, kamen zu einem falschen Zeitpunkt. Aus dem Projekt "The Horse", einem hölzernem Pferd, das das Thema der Entschleunigung darstellte und durch Menschen im Schritttempo durch Deutschland gezogen werden sollte, wurde auch nichts. Die Straßenämter konnten ein solches Mobil nicht einordnen, sie glaubten ich wollte in Köln am Karnevalsumzug teilnehmen. Auch das Goldberg-Institut scheiterte. Ich wollte damals Kunst digital auf Spezialfolien drucken und sie per Quadratmeter verkaufen. Das Produkt war wirklich gelungen, aber der Zeitpunkt war extrem ungünstig. Am nächsten Tag stürzten zwei Flugzeuge in die Twin Towers und niemand kam ins Goldberg-Institut. Heute wird diese Idee erfolgreich vermarktet. Nur ich bin nicht dabei.

Das hört sich pessimistischer an, als man über Sie in der Zeitung liest. Da stehen Sie eigentlich immer als Gewinner da.

Ach, das wird immer so dargestellt. Die Wirklichkeit ist eine andere. Zum Beispiel das Restaurant Schwarzenraben in Mitte hat trotz großer Popularität auch hart zu kämpfen. Nicht alles ist aus Gold, was glänzt. Aber die Leute glauben das nicht. Auch der Vermieter des Heizkraftwerks meint, ich müsste Millionen haben.

Was bleibt Ihnen noch?

Ich habe ein gutes Team, wir produzieren Platten, aber auch der Markt gibt nicht mehr viel her. Ich beginne, mich von vielem zu trennen. Das ist sogar befreiend. Wer fliegen will, muss leicht sein. Das neue Kapitel wäre das Kraftwerk. Wenn ich jedoch damit bis Ende Februar nicht weiterkomme, bin ich enttäuscht, dann ist dieses Thema, an dem ich bald ein Jahr arbeite, auch vorbei. Aber mein Auftrag ist es, Dinge in Bewegung zu halten und diese Arbeit werde ich weiterführen.

Die Fragen stellten Holger Melas und Markus Horeld

Der Dokumentarfilm über den Tresor mit dem Titel "Tresor Berlin: The vault & the electronic frontier" läuft am 25. Januar 2005 um 20 Uhr im Babylon Berlin-Mitte (Rosa-Luxemburg-Str. 30).

Mehr zu Berlins Musikszene: www.meinberlin.de/lauschangriff ()

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