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Kultur: Dinosaurier gegen Höhlenfrauen

Der Ball ist bunt: Heller, Beckenbauer und Schily stellen in Berlin das Kulturprogramm zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 vor

Der Arbeitstag fängt schlecht an für Franz Beckenbauer. Er will vom Olympiastadion zum Bundespresseamt, aber das findet der Taxifahrer nicht, zu viele Baustellen versperren im Stadtzentrum den Weg. Also hat der Münchner Beckenbauer den Berliner Taxifahrer irgendwie in Richtung Bahnhof Friedrichstraße gelotst. Na, das kann ja lustig werden, wenn im nächsten Jahr die ganze Welt zu Gast bei Freunden hier in Berlin ist.

Diesen Slogan mit der Welt und den Freunden hat André Heller für die Fußball-WM 2006 ersonnen, und wegen Heller ist Beckenbauer an diesem Donnerstag auch nach Berlin kommen. Der Wiener Konzeptkünstler verantwortet als Kurator das Kunst- und Kulturprogramm zur WM, das er im großen Saal des Bundespresseamtes erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Franz Beckenbauer spielt bei dieser Präsentation eine zentrale Rolle. Er hat etwas mitgebracht, ein Bild, das er gemeinsam mit Bundesinnenminister Otto Schily enthüllt. Das Bild zeigt einen Mann mit lockigem Haar, die Konturen sind im Stil einer Kinderzeichnung in leuchtendem Orange nachgezogen. „Falls Sie nicht wissen, wer der Mann auf dem Bild ist – das bin ich, ja, so habe ich mal ausgesehen, ist schon eine Weile her“, sagt Beckenbauer. Andy Warhol hat ihn 1977 gemalt, „das war in New York, bei meinem ersten Spiel für Cosmos. Der Hubert Burda hat’s später gekauft und mir geschenkt – damals, als er noch Geld hatte.“

In diesem Ton plaudert Beckenbauer noch ein paar Minuten weiter, er genießt seinen Auftritt. Er habe ja gar nicht gewusst, dass der Fußball so viele Facetten habe, „wenn ich mir den Katalog dieses Kulturprogramms anschaue, frage ich mich: Brauchen wir bei dieser Weltmeisterschaft die Fußballspieler überhaupt? Haben wir dafür noch Zeit?“

Auf diese Frage hat André Heller gewartet. Er bekomme das ja oft zu hören, die Künstler sollen sich nicht so wichtig machen und überall mitmischen, erst recht nicht beim Fußball. „Aber wir Intellektuellen haben auch ein Recht auf Irrtümer, Leidenschaft und Verrücktheit“, das sei doch kein Privileg der Zahnärzte, Stahlbauarbeiter und Taxichauffeure. Heller tritt an zur Beweisführung und blättert durch den 127 Seiten starken Katalog. Ganz vorn ist auf einer Doppelseite Diego Maradona abgebildet, dessen Fußballkunst bis heute unerreicht ist. Im Stil eines Dirigenten wirft der Argentinier die Hände in die Höhe, die Menge zum Jubel anleitend. In dieser Pose sieht sich auch André Heller bei seinem ausführlichen Vortrag über Theater, Musik und Literatur: 48 Projekte landauf, landab, mit gut 900 Künstlern.

An der Ruhr singt man ein Fußball-Oratorium. Hans Magnus Enzensberger stellt einen Poesie-Automaten auf. Christian Thielemann dirigiert im Münchner Olympiastadion, Justus Frantz die Gala in Frankfurt. Der Choreograf William Forsythe denkt sich ein Hip-Hop-Fußballspektakel aus. Auch sein Kollege Alain Platel baut Brücken vom Tanz zum Sport. Kulturell wollen die Deutschen auf jeden Fall Weltmeister werden.

Zwischendurch darf Robert Wilson etwas sagen. Der amerikanische Theatermacher inszeniert zur WM eine Fußball-Oper, Arbeitstitel: „Soccer Songs“, die Musik soll Herbert Grönemeyer schreiben. Wilson erzählt von einer riesigen Leinwand am Bebelplatz, von sieben Akten, „in der ersten Szene spielen Dinosaurier gegeneinander Fußball, in der zweiten Dinosaurier gegen Höhlenfrauen“. Dann muss Wilson gehen, die aktuelle Arbeit am Berliner Ensemble ruft. Heller darf weiterreden.

Otto Schily sitzt zwei Plätze weiter, und er sieht ein wenig müde aus, ja beinahe gelangweilt. Dabei ist die – frühe – Präsentation in Berlin auch eine Geste für ihn, den wahrscheinlich scheidenden Innenminister. Beckenbauer und Heller werden jedenfalls nicht müde, Schilys Verdienste um die WM im Allgemeinen und auch das Kulturprogramm im Besonderen zu würdigen. Der Minister hört schweigend zu, er lacht nicht über Hellers endlose Anekdoten, und zwischendurch muss er mal kurz nach draußen, um der ARD ein Interview zu geben. Bei seiner Stellungnahme bleibt er im Ungefähren. Schily blättert durch den Katalog, besonders gut habe ihm dieses eine Projekt gefallen, wie hieß es doch gleich, und ein anderes sei auch ganz schön.

Zwei Musiker tragen Fan-Gesänge im Opernstil vor. Ganz hübsch, sagt Schily, „also für die Fans ist das wohl eher nichts“, aber es gebe ja auch andere Menschen, „die hören so etwas vielleicht gern, ich finde das jedenfalls ganz interessant“. Ein Kompliment klingt anders, aber Schily darf sich das erlauben, er hat schließlich das Geld gegeben.

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