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Barockspezialist. Christophe Rousset, geboren 1961 in Avignon.

© I. Barrios Martinez

Dirigent Christophe Rousset: Einen Schritt weiter gehen

Dirigent Christophe Rousset gibt sein Berlin-Debüt bei den Barocktagen der Staatsoper. Ein Gespräch über französische Komponisten und die Grenzen der Musik.

Monsieur Rousset, Sie konzertieren mit ihrem Ensemble Les Talens Lyriques bereits seit 27 Jahren in aller Welt. Nur um Berlin haben Sie einen Bogen gemacht. Warum?

Wir waren schon oft in Potsdam!

Das ist aber nicht dasselbe! Ihr Konzert im Apollosaal steht unter dem Motto „Die italienische Versuchung“. Klingt nach Dolce Vita. Worum geht es?

Es geht vor allem um Virtuosität! Wir spielen Musik von französischen Komponisten, die sich vom italienischen Stil anstecken ließen. Jean-Marie Leclair hat in Italien studiert, auch Jean-Philippe Rameau war in Italien. Und als Michel Pignolet de Monteclair aus Italien zurückkam, brachte er den Kontrabass mit! Man spielte vorher keinen Kontrabass in Frankreich. Überhaupt war zu Lebzeiten von Louis XIV der französische Stil in der Musik eine Staatsangelegenheit. Es ist spannend, zu sehen, wie sich nach seinem Tod der italienische Einfluss plötzlich ausbreiten konnte.

Damals spielten Nationalstile eine große Rolle in den schönen Künsten. Das hat sich spätestens im 20. Jahrhundert verflüchtigt. Welche Rolle spielt das Nationale heute für die historische Aufführungspraxis?

Die Szene ist langsam gewachsen, sie hat sich auch in den letzten Jahren noch einmal sehr verändert. Die Ensembles aus England waren mal die Pioniere. Heute gibt es überall gute Gruppen, in allen europäischen Ländern, aber es ist wahr: Die Art und Weise, Musik zu machen, ist wirklich je nach Land und Repertoire sehr verschieden.

Inwiefern?

Die deutschen Ensembles, zum Beispiel, spielen gern auch ohne Dirigenten. Sie organisieren sich selbst, das gilt für das Concerto Köln, für das Freiburger Barockorchester, auch für die Akademie für Alte Musik. Das ist fantastisch! In Frankreich dagegen haben die Ensembles noch künstlerische Leiter. Ich persönlich denke, dass Dirigenten tatsächlich wichtig sind für das Klangbild einer Performance. Man kann von der ersten Violine aus nicht das gesamte Geschehen beurteilen und ein Klangkonzept imaginieren. Manchmal passiert es, dass ich meine Musiker von Les Talens Lyrique unter einem anderen Dirigenten hörte und sie nicht wiedererkenne. Klang ist immer auch eine Frage von Persönlichkeit.

Und die neuen italienischen Ensembles?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich diese brutale Art, Musik zu machen, nicht sehr mag. Ich glaube einfach nicht, dass Vivaldi seinen Schülerinnen im Ospedale so harte, scharfe Tongebung hat beibringen wollen. Aber wenn es neue Hörer findet, bitte sehr. Es ist doch gut, dass es Unterschiede gibt!

Musiker sind Reisekader. Das war zu Rameaus Zeit so, und das ist auch heute so…

… nur ist das Reisen heutzutage doch ein bisschen bequemer geworden.

Das bedeutet aber auch: Als Musiker sind Sie immer und überall nur zu Gast, ein Fremdling, unter Fremden. Ihr Berufsstand ist sozusagen der wandelnde Gegenentwurf zu Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit. Sie selbst sprechen ja auch, wie alle Musiker, mehrere Sprachen…

Natürlich. Musik ist international. Sie wird überall verstanden. Aber ich glaube nicht, dass sie, wie Robert Schumann das mal gesagt hat, selbst eine Art Sprache ist, wenn auch unübersetzbar. Musik ist einfach nur Musik. Man kann mit ihr Gedanken und Gefühle ausdrücken, und jeder kann das dann auch irgendwie verstehen – aber es ist nicht an eine konkrete Sprache gebunden. Ich kann mir mit Musik beim Bäcker kein Brötchen kaufen. (lacht)

Kann Musik die Welt verbessern?

Was für eine Frage! Ist das nicht immer und überall unser Ziel? Aber ich bin realistisch. Mein künstlerischer Einfluss ist ziemlich begrenzt. Ich kann, krass gesagt, mit meinen Konzerten keine Kriege verhindern und ganz sicher ist die viele Herumreiserei auch gar nicht gut für die Umwelt. Aber ich empfinde es als ein großes Glück, diesen Beruf ausüben zu können, und ich bin überzeugt davon, dass durch die Bekanntschaft mit musikalischen Werken die Bereitschaft, miteinander zu kommunizieren, gefördert wird. Wer zuhören lernt, der kann auch lernen, sein Herz zu öffnen und etwas zu akzeptieren, was er bis dahin noch nicht kannte. Musik ist mehr als nur ein schönes Geräusch und ein fürstliches Vergnügen. Sie macht Arbeit, auch für die Zuhörer, sie kann aufregen, verstören und anstrengend sein. Und sie kann zeigen, dass es noch etwas gibt hinter den Dingen – eine Transzendenz, etwas, das über unsere animalische Existenz hinausgeht. Ich meine das nicht im religiösen Sinne. Man kann an Gott glauben oder auch nicht, das spielt keine Rolle dabei. Ich meine das nur im Sinne eines vertikalen Weges, zu denken. Musik erweitert unseren Horizont, das ist gut für die Selbsterkenntnis und für das menschliche Miteinander.

Seit Jahren engagieren Sie sich in Educationprojekten mit Jugendlichen…

Natürlich. Alle schönen Künste sollten zugänglich sein für alle. Ich bilde mir aber nicht ein, dass ich damit etwas für das Klassikpublikum der Zukunft tue oder dergleichen. Diese jungen Leute werden vielleicht danach nie wieder in ein Konzert gehen. Doch sie hatten einmal Kontakt mit Schönheit, und mit etwas Unbekanntem. Sie merken, dass es etwas gibt, dass sonst in ihrem Alltag fehlt. Musik life im Konzert zu erleben, ist eine Erfahrung, die eine neue Dimension eröffnen kann. Das schöne Vergnügen rauscht nicht nur vorbei, wie beim Hören aus Konserve, über Kopfhörer. Man bleibt nicht an der Oberfläche der Erscheinung, man lernt, einen Schritt weiter zu gehen. Ich glaube, das ist wichtig für jeden Menschen, jeden Alters.

Das Gespräch führte Eleonore Büning. Am heutigen Freitag um 15 Uhr gibt Christophe Rousset ein Cembalo-Recital, am Sonntag dirigiert er Les Talens Lyriques, jeweils um 15 Uhr im Apollosaal.

Eleonore Büning

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