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Auf Lebenszeit. Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim, 72, ist seit 1992 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper.

© Holger Kettner/Staatsoper

Dirigent der Berliner Staatsoper: Daniel Barenboim - mit der Moderne auf Du und Du

Alban Berg, Pierre Boulez – und die endlosen Bauarbeiten Unter den Linden: Chefdirigent Daniel Barenboim über Komponisten als Revolutionäre und die Staatsopern-Festtage.

Herr Barenboim, Sie sind als unermüdlicher Arbeiter bekannt. In den nächsten Wochen muten Sie sich ein besonders kräftezehrendes Programm zu. Auf die „Macbeth“-Aufführungsserie folgen die Opern und Orchesterstücke von Alban Berg kompakt an zwei Wochenenden, und gleich darauf die Proben zu „Parsifal“. Mit der Premiere starten die Festtage der Staatsoper, bei denen Sie auch den „Tannhäuser“ dirigieren und drei Boulez-Konzerte.

Mir ist dieses Projekt sehr wichtig. Ich arbeite ja seit Langem mit der Staatskapelle an Alban Berg. Den „Wozzeck“, der 1925 Unter den Linden uraufgeführt wurde, haben wir in den 90er Jahren in Patrice Chéreaus großartiger Inszenierung gespielt. 2011 führte dann Andrea Breth bei einer Neuproduktion Regie, ebenso wie bei der „Lulu“ 2012. Das Problem mit der Musik des 20. Jahrhunderts ist doch: Das Publikum hört diese Stücke nicht oft genug. Familiarität aber stellt sich nur ein, wenn man mit den Werken vertraut ist. Das gilt ebenso für die Musiker. Erst wenn die Interpreten nicht mehr ihre ganze Konzentration dafür brauchen, die Noten korrekt umzusetzen, beginnt die Musik zu fließen. Wer sich frei fühlt, spielt auch freier. Genau das möchte ich dem Publikum anbieten: Ein Orchester, das sich wirklich auskennt mit den Stücken. Dafür ist jetzt der richtige Zeitpunkt.

Aber anstrengend ist es schon fürs Orchester. Zum Glück ist die Staatskapelle personell so ausgestattet, dass nicht jeden Abend dieselben Musiker spielen.

Es gibt tatsächlich einige Mitglieder des Orchesters, die explizit darum gebeten haben, den ganzen Zyklus zu spielen. Aus demselben Grund, aus dem unser Konzertmeister Wolf-Dieter Batzdorf 2002 alle zehn Wagner-Opern hintereinander spielen wollte. Es ist spannend, bei so einer Reise durch das Werk die Entwicklung des Komponisten hautnah mitzuerleben.

Und was kann man da lernen?

Beispielsweise, dass es Komponisten so ergehen kann wie Revolutionären. Wenn sie an die Macht gelangen, können sie nicht automatisch auch die Rolle des Staatslenkers ausfüllen. Alban Berg war der Schüler, Schönberg der Meister. Dann aber überflügelte Bergs Ruhm den von Schönberg. Der war zwar der Revolutionär, der mit der Zwölftontechnik den Umsturz herbeiführte – aber erst Berg hat sie fürs Publikum zugänglich gemacht und gezeigt, dass diese Musik auch Sinnlichkeit haben kann. Weil er ein echtes Theatergespür hatte.

Die Berg- und Boulez-Schwerpunkte sind also eine logische Fortsetzung Ihrer Wagner- und Mahler-Zyklen?

Absolut! Ich bin jetzt 23 Jahre an der Staatsoper. Als ich kam, war die Staatskapelle ein toller Klangkörper mit einer großen Tradition. Aber gleichzeitig war sie auch ein antikes Möbel, an dem es einiges zu reparieren gab. Mit Wagner, Beethoven, Brahms, Schumann haben wir das gemacht. Gleichzeitig fingen wir an, uns mit Zeitgenössischem zu befassen und brachten Opern-Uraufführungen von Harrison Birtwistle und Eliott Carter heraus.

Und wie weiter?

In der nächsten Dekade kam dann noch mehr heutige Musik dazu, parallel zu unserer Beschäftigung mit Gustav Mahler im sinfonischen Bereich und zum russischem Repertoire im Musiktheater. In den letzten Jahren habe ich dann französische Musik in den Fokus gerückt, die ja eine ganz eigene Klangwelt hat. Gerade die Orchesterstücke von Debussy sind ja nicht nur aufgrund der Klangfarben interessant, sondern auch aufgrund ihrer inneren Struktur, ihrer ganz eigenen Artikulation. In diese Richtung gehen wir weiter.

Die „Notations“ von Boulez haben Sie immer wieder aufs Programm gesetzt.

Ich war ja damals, Ende der siebziger Jahre in Paris der Auftraggeber für die Orchesterfassung des Klavierzyklus. Boulez wollte ursprünglich alle zwölf Stücke umschreiben, geliefert hat er dann vier, die wir 1980 uraufgeführt haben. 22 Jahre später konnte ich ihm eine weitere abringen. Als ich die „Notations“ mit der Staatskapelle zuletzt vor zwei Jahren aufführte, waren wir tatsächlich in der Lage, das Stück in einer einzigen Probe auf die Beine zu stellen. Das ist Familiarität.

Wird Pierre Boulez zu den Festtagen nach Berlin kommen?

Nein, seine Gesundheit lässt das leider nicht zu. Aber er hat sich wahnsinnig gefreut, als ich ihm erzählte, dass ich seine Stücke mit drei Orchestern aufführe: mit der Staatskapelle, den Wiener Philharmonikern und dem West-Eastern Divan Orchestra. Die Programme sind so konzipiert, dass mit Schubert, Debussy und Ravel Musik erklingt, die Boulez geprägt hat.

"Boulez konnte sich einfach nicht durchringen, für eine Opernpartitur alles andere liegenzulassen"

Auf Lebenszeit. Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim, 72, ist seit 1992 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper.
Auf Lebenszeit. Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim, 72, ist seit 1992 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper.

© Holger Kettner/Staatsoper

„Parsifal“ passt in den Kontext, weil es nicht nur ein Schlüsselwerk für die Entwicklung der Neuen Musik ist, sondern auch bedeutend für Boulez’ Karriere. „Wozzeck“ war 1963 sein Durchbruch als Operndirigent, drei Jahre später debütierte er in Bayreuth mit dem „Parsifal“. Nur eins fehlt in diesem beziehungsreichen Geflecht: eine Oper von Boulez.

Ja, leider. Wenn Sie wüssten, wie viele Stunden ich mit ihm über sein ewiges Musiktheaterprojekt geredet habe! Schon in den achtziger Jahren war es Thema, aber er fand keinen Librettisten. Jean Genet starb, mit Bernard-Marie Koltès klappte es nicht. Als ich dann in Bayreuth mit Heiner Müller den „Tristan“ machte, sagte ich zu Boulez: Das wäre der ideale Partner für Sie! Es kam auch zu mehreren Treffen, die, wie Sie sich vorstellen können, hochinteressant waren. Boulez wollte das Orchester nicht im Graben haben, sondern überall im Raum verteilen. Zudem hat er sich intensiv mit dem Thema Zeit und Raum beschäftigt. Müller seinerseits wollte nur kurze Sätze haben und nicht diese epischen Ergüsse im Stil der deutschen Romantik. Das war sehr spannend. Nur kam am Ende doch kein Libretto heraus.

Dabei war es Boulez, der 1967 im berühmten „Sprengt die Opernhäuser in die Luft“-Interview fortschrittliche Musiktheaterwerke forderte. Hat er das fehlende Libretto vielleicht als Alibi benutzt, weil er selber nicht wusste, wie die Oper der Zukunft aussehen könnte?

Ich kenne Boulez seit Juni 1964, als wir gemeinsam in der neu eröffneten Berliner Philharmonie debütierten. Er hat immer so viel gleichzeitig gemacht, neben dem Komponieren gab es seine Arbeit als Dirigent und viele kulturpolitische Projekte. Für eine Opernpartitur hätte er alles andere liegen lassen müssen, zumindest eine Zeit lang. Dazu konnte er sich einfach nicht durchringen. Dabei hätte er ein wunderbares Werk schaffen können, denn er ist ein genuiner Theatermensch. Er hat ja als junger Mann mit dem Dirigieren bei der Theatertruppe von Jean-Louis Barrault angefangen.

Wir müssen jetzt noch über die Skandalbaustelle Lindenoper sprechen ...

Müssen wir? Ich finde, es ist langsam an der Zeit, mit dem Meckern aufzuhören. Es ist so, wie es ist. Es dauert viel zu lange, es gab vielleicht einen Mangel an Verantwortungsgefühl bei einigen Beteiligten – aber wir sehen jetzt immerhin das Ende des Tunnels.

Für den Abschluss der Bauarbeiten gibt es ein vertraglich vereinbartes Datum. Aber wer garantiert Ihnen, dass die Akustik tatsächlich besser sein wird als vorher?

Wissen Sie, was Pierre Boulez über Akustik gesagt hat? Was die Spezialisten mir erzählen, ist so zuverlässig wie der Wetterbericht im Fernsehen.

Es liegt also am Künstler selber, das Beste aus den Gegebenheiten zu machen?

Ja, natürlich. Wir müssen die Herausforderung annehmen. Ich glaube aber, wir werden vor der offiziellen Eröffnung genug Zeit haben, um uns auszuprobieren und eine Feinjustierung der Saalakustik vorzunehmen.

Und wie geht es mit der Barenboim- Said-Akademie voran, die Sie im ehemaligen Dekorationsdepot der Staatsoper neben der Hedwigskathedrale einrichten?

Wir haben jetzt einen Dean ernannt, also einen Fakultätsleiter. Und wir haben auch einen director of humanities gefunden, der für die geistige Erziehung zuständig sein wird, die gleichberechtigt neben der musikalischen Ausbildung steht. Aber wir brauchen noch Zeit, bis wir das gesamte Curriculum veröffentlichen können. Denn wir wollen zugleich dann auch die Namen der Lehrenden veröffentlichen sowie der Musiker, die unsere Stipendiaten betreuen werden.

Die Arbeiten aber sind im Zeitplan?

Absolut. Ich denke zwar jeden Tag über die Akademie nach, aber wenn man dann tatsächlich die Baustelle besucht und sieht, wie es vorangeht, wird die Idee des Ortes plötzlich ganz konkret. Eines Ortes nämlich, an dem junge Menschen aus verschiedenen Religionen lernen werden, sich gegenseitig zuzuhören, beim Musizieren wie beim Diskutieren. Das ist wunderbares Gefühl.

Wann können Sie in der Akademie mit dem Unterricht starten?

Das Haus wird im Oktober 2016 bezugsfertig sein. Dann beginnen wir uns einzurichten. Die Einweihung des von Frank O. Gehry entworfenen Konzertsaals findet dann am 3. März 2017 statt.

Auf den Tag genau sieben Monate vor der Wiedereröffnung der Staatsoper. Was werden Sie dann Unter den Linden dirigieren?

Darüber darf ich jetzt noch nicht sprechen. Aber bald. Bitte haben Sie ein wenig Geduld!

Das Berg-Fest der Berliner Staatsoper zeigt die beiden Opern von Alban Berg unter Regie von Andrea Breth: „Wozzeck“ am 6. und 14. März (mit Marina Prudenskaya und Michael Volle), „Lulu“ am 7. und 13. März (mit Mojca Erdmann und Deborah Polaski). Sonntags um 16 Uhr gibt es Konzerte: am 8. 3. die Orchesterstücke Opus 6 und Vokalwerke, gesungen von Anna Prohaska, am 15. 3. mit dem Violinkonzert (Solist: Pinchas Zukerman), der Lyrischen Suite und dem Kammerkonzert. Alle Aufführungen dirigiert Daniel Barenboim. Ebenfalls alle Opern und Konzerte leitet Barenboim bei den Festtagen. Am 27.4. spielen die Wiener Philharmoniker Schuberts Neunte und Boulez’ „Livre pour cordes“. Am 28.4. folgt die Premiere des „Parsifal“ in einer Inszenierung von Dmitri Tcherniakov, am 29.4. steht ein reines Boulez-Konzert auf dem Programm. Das West-Eastern Divan Orchestra kombiniert am 4. April Boulez’ „Dérive II“ mit Werken von Ravel und Debussy.

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