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Die Reise von Popes Helden Viorel endet im Donau-Delta: Die neue Brücke über die Donau zwischen Widin in Bulgarien und Calafat in Rumänien, aufgenommen am 07.05.2013.

© DPA/Bildfunk

Dirk Pope und sein Roman "Abgefahren": Im Reich der Untoten

Teufel, Vampire und tote Diktatoren: Dirk Popes charmant morbider und turbulenter Rumänien-Roadroman „Abgefahren“.

Titel, Covergestaltung, Kapitelüberschriften und die Europa-Karten vorn und hinten im Buch machen unmissverständlich klar, welcher literarischen Gattung Dirk Popes Buch „Abgefahren“ angehört: der des Roadromans, der sich in der Jugendbuchliteratur ungebrochener Beliebtheit erfreut, überdies zu der enorm direkten, skurrilen, abgründigen, dunkelhumorigen Sorte des Genres.

Denn nicht nur, dass der Held des Romans, der 17 Jahre alte, fettleibige Viorel, von Beginn an „on the road“ ist in einem uralten weißen Opel Corsa, unterwegs auf den Autobahnen zwischen Essen und Passau, auf dem Weg Richtung Rumänien. Nein, er hat eine makabre Fracht hinten im Kofferraum: die Leiche seiner gerade verstorbenen Mutter. Sie stammt aus Rumänien, aus dem Nordosten des Landes, aus einem Ort in der Nähe des Donaudeltas. Viorel will ihren letzten Wunsch erfüllen, nämlich in ihrer Heimat begraben zu werden.

Ein fulminanter Beginn: Ein Junge ohne Führerschein, der einen Trip mit einer Leiche macht, dazu noch im Winter, das kann ja was werden. Und es wird: Dirk Pope versteht sich darauf, die Aufmerksamkeit hochzuhalten, das Tempo sogar anzuziehen und sich trotzdem nach und nach in die Psyche seines Heldens zu begeben und zudem sein Publikum mit den Eigenheiten des ach so fremden Landes im vermeintlich „wilden Osten“ Europas vertraut zu machen.

Kaum in Ungarn, hat Viorel eine zweite Leiche auf dem Rücksitz: einen seltsamen Anhalter, der ihn zunächst über ein paar Mythen Rumäniens, über die Blutgräfin Báthory und natürlich Graf Dracula in Kenntnis setzt, dann jedoch beim Aussteigen mitten in der Nacht in der Nähe von Györ von einem Lastwagen überfahren wird. Es folgt der Grenzübertritt, eine wilde Verfolgungsjagd – hinter Viorel sind zwei düstere Dacia-Fahrer her (Ex-Securitate? Wegelagerer? Mafia?) – , eine Nacht in eisiger Kälte ohne Auto, das Wiederfinden des zerbeulten Corsa, noch immer mit der Leiche der Mutter im Kofferraum, aber ohne die des Anhalters. Und schließlich die Ankunft in Bistritz, wo ein Onkel von Viorel herkommt: „Endlich. Knapp 24 Stunden von zu Hause entfernt, erreicht er das Nest im nordöstlichen Siebenbürgen, gegründet von den Zipser Sachsen. Willkommen im Deutschland des Mittelalters. Der Ort scheint nicht besonders groß zu sein. Sozialismusgraue Gebäude. Wohnblocks mit an den Ecken abgerundeten Balkonen. Eine Petrom-Tankstelle.“

Auch das Schloss von Dracula passieren Popes Helden

Pope bevorzugt Aufzählungen, kurze Sätze, Sätze ohne Verben, was eine gewisse, schön mit der Kurzatmigkeit des Helden korrespondierende Atemlosigkeit suggeriert. Was dann zwar nicht immer flüssig zu lesen, dem Tempo eines Roadromans aber angemessen ist. Dabei verquickt Pope schön das Fantastische, gerade den ewig untoten Dracula, mit den postsozialistischen Gegebenheiten eines Landes zwischen Archaik und Moderne. Viorel, der inzwischen zwei weitere Beifahrerinnen hat, eine alte Nachbarin seines auch schon verstorbenen Onkels und deren Urenkelin Dana, muss weiter nach Osten, über einen Pass, an dem das Dracula-Schloss steht, in die Geburtsstadt seiner Mutter, von der er vorher nie etwas gehört hatte. Und er muss sich Geschichten anhören von Begräbnissen, auf denen plötzlich große Hunde über offene Gräber springen, sich mit einem toten Papagei, dem Doppelgänger seines Unterbewusstseins, geldgierigen Popen und immer wieder Schnaps herumschlagen, und wie er in einer Nacht seine Mutter in das Grab einer anderen Frau legt und wieder einem Hund begegnet, das ist eine Ideen- und Erzählklasse für sich.

Es steckt viel morbider Charme in diesem Roman, und so, wie sich im Donaudelta die vielen Seitenarme des großen Flusses verzweigen, verhält es sich auch mit dieser schönen Geschichte: Sie ist turbulent, abwechslungsreich, vielgestaltig, hat etwas von einer Landeserkundung, trägt aber auch Züge eines Adoleszenzromans. Viorel erfährt viel über sich und sein bisheriges Leben, verliebt sich und weiß schließlich, „dass er für alles, was passiert, selbst verantwortlich ist.“ So verflucht, wie es scheint, mit all seinen Teufeln, Vampiren und toten Diktatoren, ist Rumänien eben gar nicht.

Dirk Pope: Abgefahren. Roman. Hanser Verlag,München 2018.236 Seiten, 15 €.Ab 14 Jahren.

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