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Kultur: Dix und Dax

Der Kunstmarkt boomt wie nie: Rudolf Zwirner über Börsenfieber, Sammelleidenschaften – und die Fehler der Museen

Vor 40 Jahren haben Sie die Art Cologne gegründet, die erste Kunstmesse überhaupt. Hätten Sie sich damals eine solche Marktexplosion vorstellen können?

Nein, wir hatten nicht einmal daran gedacht, die Messe als dauerhafte Institution zu etablieren. Wir wollten nur Öffentlichkeit für zeitgenössische Kunst. Im Nachkriegsdeutschland wurde entweder historisch gekauft – Bauhaus, Expressionismus, Neue Sachlichkeit – oder die Ecole de Paris. Für Pop Art gab es keinen Markt. Mit einer Messe wollten wir die Hemmschwelle zur Galerie senken. Der Erfolg kam überraschend: Statt den erwarteten 2000 Besuchern kamen in den fünf Tagen 20 000.

Was sich damals Bahn brach, überrollt uns heute komplett.

Die Medien haben zu dem Erfolg beigetragen. Es war ein Überraschungscoup, denn bislang war Kunst nur in einer bestimmten Aura zu sehen, in der Galerie oder im Museum. Auf einem Markt ein Kunstwerk zu zeigen, war ein Sakrileg. Das spürten die Journalisten. Die andere Neuheit war die Transparenz der Preise, der Provenienzen. Was dort positiv begann, die Öffnung und das größere Publikum, wurde zugleich problematisiert, denn die Kunst wurde vorübergehend als Ware präsentiert. Das war die Quadratur des Kreises: Wir wollten verkaufen und gleichzeitig die Atmosphäre einer Galerie wahren.

Was löste den Boom aus?

Eine der Hauptursachen waren die Auktionshäuser, die im zeitgenössischen Bereich eine neue Geschäftsquelle erkannten. Sie haben in den Achtzigern die Auktionen zeitgenössischer Kunst eingeführt, terminlich genau nach den Kunstmärkten, um die Kaufkraft auch in ihre Häuser zu lenken. Das war eine Kampfansage an uns. Dazu kam der enorme Verteiler durch die Verschickung Zehntausender Kataloge in alle Welt. Was wir heute in der Wirtschaft erleben, die Globalisierung, hat es in den Achtzigen im Kunstmarkt bereits gegeben.

Anfang der Neunziger brach auch der Kunstmarkt zusammen. Wird die Blase wieder platzen?

Ich teile diese Prophezeiungen nicht, denn heute gibt es neue Käuferschichten: junge Sammler, die Kunst mit Lifestyle verbinden. Sie interessiert nicht die historische Relevanz eines Werks. Diese Sammler kaufen aus Prestige. Sammler gelten nicht nur als wohlhabend, sondern auch als gebildet und kultiviert.

Diese Klientel hat das Kunstgeschehen verändert: Messen sind Events geworden.

Die Verkäufer müssen sich auf diese neue Sammlerschicht einrichten. Da werden keine Diskurse mehr geführt im Angesicht des Werkes, sondern es geht um den Spaß. Deshalb versucht man Messen mit Partys zu beleben. Diese Käufer sind an der Börse in kurzer Zeit Millionäre geworden und haben ein eher spielerisches Verhältnis zum Geld. Sie sind bereit zu gewinnen und zu verlieren. Deshalb ist der Markt für zeitgenössische Kunst gerade in den USA so stark, insbesondere in New York, dem Zentrum der Börse.

Steigen deshalb die Preise so rasant?

Das viele Geld, das früher in historische Kunst ging – alte Meister, Impressionisten und die Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts –, sucht neue Wege. Diese Werke sind so gut wie ausverkauft. Aber auch für Warhol oder Jasper Johns werden bereits Millionen gezahlt. Die jungen Reichen beginnen mit Kunst des 21. Jahrhunderts. Für sie macht es wie bei der Börse keinen Sinn, eine Aktie auf dem Höchststand zu kaufen, sie erwerben lieber Aktien von einem jungen Unternehmen, also einem kommenden Maler oder einer bestimmten Richtung. Zum Beispiel die Leipziger Schule – da spielt es keine Rolle, wie gut das Bild ist, denn wenn ich zu den Käufern der ersten Stunde gehöre, selbst wenn es sich später als Makulatur herausstellen sollte, gibt es zunächst eine Preissteigerung. Heute werden sechzig, siebzig Prozent der Kunstkäufe spekulativ getätigt.

Mit fatalen Folgen für die Künstler?

Natürlich, nur sollte man das nicht tragisch nehmen. Die Qualität des Bildes selber ist nicht tangiert. Ein guter Baselitz ist ein guter Baselitz, ein schlechter eben ein schlechter. Je mehr Abstand wir haben, desto besser erkennen wir, ob das eine Bild eine Million wert ist, das andere nur 100 000 oder gar nichts.

Was reizt die Banken an diesem Geschäft?

Bei den rasanten Wertsteigerungen, bis zu 40 Prozent im Jahr, kommen die Investmentberater ins Spiel. Die Banken bilden Kunstfonds, die Anlegern für ihr Portfolio Anteile an Bildern empfehlen. Das geschieht vor dem Hintergrund knapper Ware, denn Kunst ist eben nicht wie Funktionsgüter zu steigern. Ich kann die Produktion eines VW oder eines Eisschranks je nach Nachfrage erhöhen. Aber Kunstwerke kann ich nicht produzieren lassen wie Markenware.

Was hat die Verhältnisse so umgekehrt?

Die Medien katapultieren einen bestimmten Kreis an Künstlern vorübergehend derartig in den Markt, dass es zu diesen hohen Preisen kommt. Und dafür sorgt entscheidend die ungeheure Öffentlichkeit, die Kunst in den letzten Jahren gefunden hat. Welche Zeitung, welches Magazin man heute auch aufschlägt, überall sind Bilder zu sehen, meist auch mit Künstlern. Auch das ist der Genialität von Warhol zu verdanken, der sich permanent selbst vermarktet hat. Er war der Erste, der ununterbrochen auf Partys ging, sich mit Journalisten umgab, die am nächsten Tag berichteten. Damals war das eine Strategie, eine künstlerische Idee, um E und U aufzubrechen und austauschbar zu machen. Als Auswirkung haben wir jetzt die Eventkultur, von der man sich nur abwenden kann.

Da könnten doch die Museen gegensteuern. Oder machen Sammler und Galeristen längst alles unter sich aus?

Das Museum ist ebenfalls involviert – bis hin zur Tragik. Es hat seinen ursprünglichen Anspruch nahezu verloren. Das Museum muss Erfolge nachweisen, um Budgets zu erhalten. Die Auseinandersetzung mit der Kunst allein bringt noch keine Besucherzahlen. Früher waren die Museen durch ihre Käufe noch richtungsweisend. Heute können sie bei den ungeheuren Preissteigerungen weder mithalten noch diese beeinflussen. Dennoch müssen sie Werke der berühmten Künstler zeigen. Womit sie im Schlepptau von Sammlern und Händlern sind.

Gleichzeitig spült der Markt in immer kürzeren Abständen Künstler nach oben.

Ich bin Experte – und kenne doch 30 Prozent der Künstler nicht mehr, deren Schätzpreise in den Auktionskatalogen bei über 100 000 Dollar liegen. Diese Preise entstehen ausschließlich durch Spekulation. Das ist neu: dass Künstler ohne Museumsausstellungen und öffentliche Auseinandersetzung plötzlich hoch gehandelt werden. Heute werden 50, 60 Prozent der Werke übers Internet an unbekannte Kunden verkauft. Es geht gar nicht darum, das Original zu erleben, sondern etwas Wertsteigerndes zu erwerben. Die ungeheure Geschwindigkeit von Produktion und Vermarktung kann der Kunst nicht förderlich sein.

Sollte man die Künstler davor schützen?

Bitte nicht, jeder Künstler muss seine Arbeit selbst verantworten. Es liegt an uns: Wir müssen gegen den Nivellierungstrend andere Maßstäbe setzen. Wir regen uns ja auch nicht über Tausende von Popbands auf. Es gibt eben auch eine U-Kunst, die den Markt beherrscht. Fatal ist nur, dass die Museen in dieses Fahrwasser geraten sind.

Ein trauriges Bild geben sie auch bei den jüngsten Restitutionen ab: Wieder werden sie von den Auktionshäusern vorgeführt.

Die deutschen Museen haben sich in den letzten 20 Jahren nicht ernsthaft genug mit den Provenienzen ihrer Bilder befasst. Ich wäre nervös, wenn sich in meinem Hause eine Arbeit befände, deren Vorgeschichte ich nicht kenne. Dass nachher Eigennutz und Vermarktung im Vordergrund steht, ist menschlich. Denn wenn Anwaltskanzleien 50 Prozent vom Erlös bekommen, lohnt es sich, bei Millionenobjekten scharf vorzugehen. Beim Berliner Kirchner-Bild hätte die Brücke-Direktorin sofort in die Öffentlichkeit gehen müssen – zusammen mit dem Kirchner-Archiv. Vielleicht wäre dann Hilfe vom Bund und den Ländern gekommen. Nun ist das Bild in New York zu sehen. Vielleicht müssen wir uns in der Globalisierung von dem Gedanken befreien, wem was gehört. Hauptsache, es bleibt der Öffentlichkeit erhalten.

Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Katrin Wittneven

Rudolf Zwirner (Jahrgang 1933) gehört zu den prägenden Figuren des deutschen Kunsthandels. Vor 40 Jahren war er Mitbegründer der Art Cologne , der ersten Kunstmesse im deutschsprachigen Raum. Aus diesem Anlass wurde er nun auf der Jubiläumsmesse mit dem Art Cologne- Preis ausgezeichnet. Mit Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Japser Johns holte Zwirner in den sechziger Jahren die Pop Art nach Europa, deren Werke er an den Aachener Sammler Peter Ludwig vermittelte.

Vor seinem Einstieg in den Kunsthandel arbeitete Zwirner als Generalsekretär für die zweite Documenta 1959 in Kassel. Auch später hat er immer wieder als Kurator gewirkt, zuletzt in der Ausstellung „Deutschlandbilder“, die ihn vor zehn Jahren dazu bewog, nach Berlin umzusiedeln. Sein Sohn David Zwirner gilt heute als einer der erfolgreichsten Galeristen New Yorks.

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