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Kultur: Dixie-Resi

Frank Castorf inszeniert Horváth in München

So konkret anregend war Goethe selten: Bibiana Beglau, die in Frank Castorfs Horváth-Inszenierung „Kasimir und Karoline“ unter anderem eine gewaltbereite Ehefrau spielt, und ihr kleinlautes Opfer (Shenja Lacher), das seine Nazi-Uniformjacke mit einer gediegenen Netzunterhose kombiniert, sitzen gemeinsam auf dem Klo und bringen sich mit der Deklamation von Goethes „Zauberlehrling“ in Beischlafstimmung.

Diese Dixie-Nummer ist typisch für den viereinhalbstündigen Abend am Münchner Residenztheater. Denn der Intendant der Berliner Volksbühne inszeniert hier gastweise die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Pachttoilette. Die Vorlage – Horváths Oktoberfeststück um den „abgebauten“ Fahrer Kasimir und seine sozial aufstiegswillige Braut Karoline, die den halbseidenen Volksfestabend im Cabriolet des Kommerzienrates Rauch beschließt – kommt dabei nur punktuell zum Tragen. Castorf interessiert sich in seiner ersten Horváth-Inszenierung weniger für das Stück als für dessen politischen Entstehungskontext.

„Kasimir und Karoline“ wurde 1932 uraufgeführt, und Castorf greift sich unter ausdrücklicher Missachtung der Chronologie lediglich diejenigen Elemente heraus, die sich am besten als Sprungbrett für seine Assoziationswucherungen eignen. Ausdauernd hauen Kasimir und Karoline, gespielt von den neuen Resi-Stars Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek, einander kulturtheoretisches Gedankengut von Ernst Jünger um die Ohren. Und die mobilen Toiletten, die Bühnenbildner Hartmut Meyer aufs weite Resi-Szenario gebaut hat, eignen sich natürlich hervorragend zum Versenken von Nazi-Uniformen (die anschließend eingebräunt wieder zutage gefördert und angelegt werden). Shenja Lacher singt kurz vor Anbruch der fünften Inszenierungsstunde auf „der Wies’n“ das Lied von den „Moorsoldaten“. Der Landgerichtsdirektor Speer aus Horváths Stück mutiert selbstredend zu Albert Speer – und droht unter dem Busen eines asiatischen Callgirls zu verröcheln. Zudem wird der Kasimir-Stoff mit schön kleinbürgerlichen Familienszenen aus frühen Fassungen und Vorkonzeptionen Horváths angereichert.

Die Verknüpfungen zwischen diesen Assoziationsebenen, zu denen noch ein paar Insider-Jokes über Salzburg, Wien, „den Johann“ (Simons) „von nebenan“ usw. usf. kommen, bleiben selbst für Castorf-Verhältnisse sehr lose. Spaß machen auf jeden Fall die Schauspieler – allen voran Birgit Minichmayr als tough angeschrillte Karoline und Bibiana Beglau in ihrer schön schrägen Kombi-Rolle als Karolines Geliebter Schürzinger und „dem Merkl Franz seine Erna“.

Schwer zu sagen, ob der Provokationsauftrag, den der neue Resi-Intendant Martin Kušej seinem Kollegen Castorf mit dieser Regieverpflichtung erteilt hat, damit als erfüllt gelten darf. Das große Türenknallen jedenfalls blieb aus, aber beim Schlussapplaus durfte Castorf – neben Jubel für die Schauspieler – immerhin auch ein paar Buhrufe für seine Regie entgegennehmen. Christine Wahl

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