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Kultur: Doktorspiele (2)

Im Forum: „Anatomie de l’enfer“ von Catherine Breillat

Samuel Goldwyn, der legendäre Studioboss, hat einmal eine Direktive für Drehbuchautoren formuliert: „Mit einem Erdbeben anfangen und dann langsam steigern!“Catherine Breillat beginnt mit einem Selbstmordversuch. Auch diese Tristesse lässt sich steigern, wie „Anatomie de l’enfer“ beweist. Breillat jagt einen Mann und eine Frau aufeinander. Sie bezahlt ihn, damit er sie ansieht. Er ist schwul und ekelt sich vor Frauen.

Um es gleich zu sagen: Diesen Film anzusehen lohnt nur, wenn man schon immer wissen wollte, aber nicht zu fragen wagte, welche Gegenstände, außer den bekannten, noch in den Körper eines Menschen, in diesem Falle: einer Frau einführbar sind. Doch es geht nicht um Voyeurismus. Bei Catherine Breillat ist jede Szene ein Versuchsaufbau, jeder Dialog ein Thesenpapier.

Wenn die beiden stumm nebeneinander liegen, erinnert das Szenenbild an „Romance“ (1999), jenem Film, der seiner Hauptdarstellerin Caroline Ducey eine Beziehungskrise einbrachte und Arte bei Ausstrahlung des Films die angeblich höchste Einschaltquote in der Geschichte des Senders. Den Grund für beides darf man bei Rocco Siffredi vermuten. Siffredi ist einer der wenigen bekannten männlichen Pornostars.

Rocco verfügt nicht nur über eine beachtliche Filmografie (über 200 Titel). Er ist auch menschlicher als all die anderen Fickmaschinen. Seine Filme, wie zuletzt „The Ass Collector“, werden regelmäßig mit Preisen der Porno-Branche ausgezeichnet. Allein: Roccos Französisch hakt ein wenig. Fremdsprachen sind nicht seine Stärke. Doch das wird er bestimmt noch in den Griff bekommen. Siffredi ist zwar noch nicht auf dem Weg zum Charakterdarsteller, aber mit bald 40 Jahren kann er sich schon mal nach ruhigeren Tätigkeitsfeldern umsehen. Arthouse-Pornos mit intellektueller Verbrämung aber dürften für sein Alter noch etwas zu gemächlich sein.

Bei Breillat sind die Tiere schon vor dem Koitus traurig. Kein Wunder – bei diesem Rhabarbern über die mystische Tiefe der Vagina, den Fluch des Blutens und einen angeblichen Frauenhass, wie er so höchstens in Frankreich verbreitet sein mag. Für die Nahaufnahmen der Frau (Amira Cassar) gab es ein Body Double. Das rechtfertigt bereits der Vorspann mit einem theoretischen Schlenker über den Charakter des Fiktionalen. Sehr akademisch, das – ein Doktorspiel.

„Es geht nicht um den Akt, sondern um seine Bedeutung“, sagt „die Frau“ einmal. Daran haben sich schon einige Landsleute von Breillat abgearbeitet. Eine ganze Tradition seit Bataille und den Surrealisten kreist darum. Über „Pornokratie“, so der Titel von Cathérine Breillats Buchvorlage, gäbe es mehr zu sagen. Als Film bleibt davon nur eine wund geschubberte Krampfzone.

Heute 19.30 Uhr (Cinestar 8)

Ralph Geisenhanslüke

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