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Ein Mann im Schweinekostüm protestiert vor einem Tönnies-Schlachthof gegen die Arbeitsbedingungen.

© Jip Film & Verleih

Doku über die Fleischproduktion: Auf dem Schlachtfeld

Yulia Lokshina zeigt in ihrem Dokumentarfilm „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“ die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie.

Arbeiter verlassen die Fabrik, es ist eine gespenstische Szenerie in Yulia Lokshinas Dokumentarfilm „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“. Langsam fährt die Kamera an dem erleuchteten Gebäudekomplex der Tönnies Holding entlang, der wie ein Hochsicherheitstrakt anmutet.

Der Schlachtbetrieb im westfälischen Rheda-Wiedenbrück liegt in einem weitläufigen Industriegebiet, unweit der Autobahn. Autos und Fahrräder entfernen sich in die Nacht, eine Frau läuft einsam einen ellenlangen Weg entlang. Ein Arbeiter steuert auf ein Feld zu und verschwindet im tiefschwarzen Bild.

In und um die ostwestfälische Stadt leben etwa 6000 rumänische, bulgarische und polnische Leiharbeiter und -arbeiterinnen in Sammelunterkünften. Ihre elenden Lebensbedingungen sind ebenso bekannt wie die Missachtung des Tierschutzes in der Massentierhaltung. Doch erst durch den Corona-Ausbruch in den Schlachthöfen rückte das Billigfleischsystem wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit.

Tod am Band

Anders als den investigativen TV-Reportagen geht es der in Moskau geborenen Lokshina in ihrem Abschlussfilm an der HFF München aber nicht um die Aufdeckung eines Komplexes. „Regeln am Band“ ist eine Betrachtung, die sich aus unterschiedlichen Stimmen, Kontexten, Momentaufnahmen sowie Leerstellen zusammense

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Mit Ausnahme eines Top-Shots auf die Stallflächen ist von den Tieren nichts zu sehen. Einlass in den Schlachtbetrieb hätte es ohnehin nicht gegeben. So verharrt die Kamera am Werkstor, während aus dem Off erzählt wird. Mehrfach ist von Arbeitsunfällen die Rede.

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Gleich am Anfang wird von einem „tragischen Unfall“ berichtet: ein Arbeiter wurde unter das Band einer Maschine gezogen. Ein anderer Mann, der an der Arbeit fast kaputt ging, musste jeden Tag zehn Kilometer in die Fabrik laufen, das Subunternehmen stellte keinen Shuttle bereit.

Empathie mit Distanz

Die Aktivistin Inge Bultschnieder hat sich um ihn gekümmert. Seit vielen Jahren kämpft die Rheda-Wiedenbrückerin für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen von Werkvertragsarbeitern. Kontakt pflegt sie auch mit einer inhaftierten Rumänin, die aus Angst vor der Entlassung ihr Baby in einem Gebüsch ablegte.

(In fünf Berliner Kinos)

Bultschnieder geht den Weg noch einmal ab, versucht die einzelnen Schritte der Frau nachzuvollziehen. Die Szene ist beispielhaft für Lokshinas Methode. Sie verbindet Empathie mit einer diskursiven Form der Distanznahme, statt auf Emotionalisierungseffekte zu setzen.

Fragen nach dem Wert menschlicher Arbeit und Würde im Kapitalismus hallen auch auf der Meta-Ebene wider. In einem Nebenstrang begleitet der Film eine Münchener Gymnasialklasse bei den Proben zu Brechts „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“. Doch während die Jugendlichen voller Engagement den Text deklamieren und Choreografien mit gewetzten Messern aufführen, erzeugen ihre Gespräche über die Widersprüche des Kapitalismus ein verhaltenes Echo.

Esther Buss

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