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Minimalist mit maximalen Effekten. Multitalent Tony Conrad.

© Edition Salzgeber

Doku über Tony Conrad: Pionier unter Pionieren

Urgestein des New Yorker Underground: Tyler Hubby hat dem Musiker, Video-Künstler und Filmemacher Tony Conrad eine Doku gewidmet.

Von Gregor Dotzauer

Von den frühen sechziger Jahren an rührte er in den Hexenkesseln der New Yorker Avantgarde heftig mit und blieb doch lange eine übersehene Randfigur. Um der Studioband The Primitives und deren einziger Single „The Ostrich“ ein Gesicht zu geben, hängte sich Tony Conrad eine auf einen einzigen Ton gestimmte Bassgitarre um und stand plötzlich mit Komponist Lou Reed, John Cale und dem Konzeptkünstler Walter De Maria als Drummer auf der Bühne. Aus der Band gingen später The Velvet Underground hervor, auch wenn sich sein Anteil am Ende darauf beschränkte, John Cale mit Michael Leighs namensspendendem Buch über Sexorgien und Sadomasochismus bekannt gemacht zu haben.

Als Geiger nahm Conrad 1964 im Mehrspurverfahren „Four Violins“ auf. Ein markerschütterndes Dokument früher drone music über einem Grundton, das 32 Jahre auf seine Veröffentlichung warten musste, ehe klar wurde, wo sich John Cale auf Songs wie „Venus in Furs“ seinen sägenden Viola-Sound abgehört hat. Mit dem Ur-Minimalisten La Monte Young und dessen Theatre of Eternal Music spielte er 1965 mehrere Kollektivimprovisationen ein. Es dauerte 35 Jahre, bis er dem selbstgefälligen Meister ein Tonband abspenstig machen konnte und der Welt bewies, welche Wurzeln seine Musikaktionen haben.

Tony Conrad, 1940 in Concord, New Hampshire, geboren, war der ewige Pionier im Schatten anderer Pioniere. Dass ihm Tyler Hubby in „Tony Conrad – Completely in the Present“ nun Gerechtigkeit widerfahren lässt, ist überfällig – auch wenn seinem Protagonisten die ganze Genugtuung der späten Anerkennung verwehrt bleibt: Conrad starb im April 2016 an Prostatakrebs. Hubby kam indes noch rechtzeitig, um dem reichen Archivmaterial, das er vorfand, eigene Begegnungen hinzuzufügen. Sie reichen zurück bis ins Jahr 1994, als er einen von Conrads ersten Auftritten als Sologeiger filmte.

Als Maler schmückte er Unterwäsche mit den Farben der Inkontinenz

In einem geschickten chronologischen Vor und Zurück zeichnet Hubby das Porträt eines warmherzigen Menschen, der mit geradezu kindischer Aufsässigkeit bis zuletzt alles Hochkulturelle verabscheute und sich als Medienprofessor in Buffalo, New York, einer eigenwilligen Antipädagogik bediente. Der Film zeigt Conrad in vielen Facetten und im Kontext der Zeit: als Soundtrackmagier von Jack Smiths queerem Underground-Klassiker „Flaming Creatures“ (1963), den prominente Künstler wie Jonas Mekas gegen die Zensur verteidigten. Als Regisseur eigener Experimentalfilme, der 1966 mit „The Flicker“ einen stroboskopischen Anschlag auf sein Publikum mit psychedelischen Effekten verübte. Als Videokünstler, der Kollegen wie Mike Kelley verkleidet in einen fiktionalen Frauenknast schickte. Als Klanginstallateur mit skurrilen Instrumentenaufbauten und federführenden Kollaborateur der Krautrockband Faust. Oder als Maler, der überdimensionale Unterwäsche mit den Farben der Inkontinenz schmückte.

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Tony Conrad tat, was ihm radikal und originell erschien, und er konnte sich auf einen Sinn für Elementares verlassen, den seine Nachfahren nur noch in Schubladen wie Ultra-Low-Fi oder, manchmal, einer Ästhetik des Hässlichen unterbringen können. Seine Musik, heißt es, habe er immer auf den kaputtesten Instrumenten und Verstärkern spielen wollen. Conrads musikalisches Talent mag dabei seine übrigen Begabungen überragen. Aus der Beschränkung ein Maximum an Intensität zu entwickeln, prägte gleichwohl all seine Aktivitäten. Mit seiner rigorosen Einfachheit war Conrad, der jedem kompositorischen Ansatz feindlich gegenüberstand, näher an der Geste des Rock ’n’ Roll als am subtilen Charme minimalistischer Strategien. Nicht von ungefähr kommen neben Weggefährten wie dem Künstler Tony Oursler und Kuratoren vor allem musikalische Bewunderer von Jeff Hunt, dem Gründer des Avantgarde-Labels Table of the Elements, über Jim O’Rourke bis hin zu Moby und Jennifer Walshe zu Wort.

Formal ist das Wechselspiel von künstlerischen Dokumenten, Zeugenaussagen und eigenen Beobachtungen konventionell. Doch Tyler Hubby hat gut daran getan, jeden künstlerischen Ehrgeiz hintan und in den Dienst eines vielgestaltigen, in seinen Dimensionen noch nicht annähernd erschlossenen Werks zu stellen. Sein Film macht dabei einen inspirierenden Anfang.

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