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Lauschen, Senden, kontrollieren. Eine alte Abhörstation im Film "Die Wirklichkeit kommt".

© Augenschein Filmproduktion

Dokumentarfilm: Chips pflanzen

„Die Wirklichkeit kommt“ heißt der Dokumentarfilm von Niels Bolbrinker. Es geht um hochaktuelle Themen wie Paranoia, Kontrollwahn und die Wirkung von Strahlen auf ahnungslose Menschen.

„Wahn! Wahn! Überall Wahn!“ Im Mittelalter musste der böse Blick einer Hexe herhalten, wenn man sich eine Krankheit nicht erklären konnte. Heute lassen sich echte, meist aber nur eingebildete Leiden auf gezielte Störaktionen schieben, die von Sendern ausgehen. Wie er sich davor schützt, demonstriert ein Eigenbrötler auf dem bayerischen Land, der sich durch eine Reihe von Vorhängen aus Plastiksäcken zumindest in seinem Bett halbwegs vor Strahlungen sicher wähnt. Aktiver war da der legendäre West-Berliner „Sendermann“, der – ein ferner Vorgänger Edward Snowdens – bereits in den sechziger Jahren als belächelter Demonstrant vor der allgegenwärtigen Beobachtung durch den CIA warnte.

Der Hamburger Dokumentarfilmer Niels Bolbrinker setzt in seinen Filmdokumentationen vielgestaltige Akzente. So porträtierte er eine Hochseilartistenfamilie („Die Thuranus“) ebenso wie den Naturfotografen und Filmemacher Alfred Ehrhardt („Die Natur in uns“). Er erforschte „Das industrielle Gartenreich“ um Wörlitz sowie, in „Original Wolfen“, die Geschichte des ehemaligen Stammwerks der Agfa-Filmfabrik und späteren volkseigenen Orwo-Unternehmens in Wolfen. Hinzu kommen Filme über „Modell und Mythos“ des Bauhauses.

In „Die Wirklichkeit kommt“ kombiniert der Regisseur Interviews und Archivfunde zu durchaus realistischen Planspielen. Wer dem Gehirn beim Arbeiten zuschauen kann, wird es auch beeinflussen wollen, lautet eine der Thesen des ungeachtet seines Titels keineswegs sperrigen Films. Mit Tieren fängt man an. Ein elektronischer Befehl dämpft schon heute die Kampflust eines Stiers, sofern man ihm einen Chip ins Gehirn implantiert hat. Da könnte es bald auch Wirklichkeit werden, eine wütende Menschenansammlung mit Strahlenkanonen friedlich zu stimmen oder mithilfe von winzigen Drohnen Abhörwanzen in Räumen abzulegen.

„Alternde Gesellschaften haben ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis“, sagt Constanze Kurz vom Hamburger Chaos Computer Club. Eines Tages könnten allgegenwärtige Kontrolleure schon aus den Körperbewegungen eines Passanten auf dessen Absichten schließen. So blättert Bolbrinker im Katalog düsterer Prophezeiungen – während das Verhalten von Handy-Telefonierern in der S-Bahn kaum darauf schließen lässt, dass sie sich ums Abhören scheren. „Wenn Freiheitsrechte nicht gelebt werden, sterben sie ab“, mahnt Kurz. Die Denkanstöße des Films kann man nur ernst nehmen.

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