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Multitasking. Olu in der Rolle des Familienoberhaupts und der großen Schwester.

© Peripher Filmverleih

Dokumentarfilm "Kommunion": Kartoffeln statt Hostien

Anna Zameckas Dokumentarfilm „Kommunion“ zeigt das Leben einer katholische Familie in Polen. Derzeit läuft er in vier Berliner Kinos.

Von Andreas Busche

„Der Pfarrer wird nicht nett zu dir sein. Wenn du nicht lernst, wird er dich anschreien. Noch zehnmal schlimmer als ich es tue.“ Selbstoptimierungscoaching auf die harte Tour. Die Motivationsansprache, die die zwölfjährige Ola in dem Dokumentarfilm „Kommunion“ ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Nikodem hält, changiert zwischen der Zuneigung einer älteren Schwester und der erzieherischen Autorität einer frühreifen Erwachsenen. Das Mädchen hat beide Rollen angenommen, es trägt die Verantwortung für die ganze Familie auf seinen schmalen Schultern.

Olas Mutter hat die Familie längst verlassen und ist nur telefonisch erreichbar, Vater Marek ist Alkoholiker und schafft es nicht, den Haushalt zu führen, Nikodem leidet an Autismus. So wird die Krankheit des Jungen in Anna Zameckas eindrucksvollem Regiedebüt zwar nicht bezeichnet, aber es besteht kein Zweifel, dass der Bruder ohne die Hilfe seiner Schwester – beim Ankleiden, beim Waschen, in der Schule – aufgeschmissen wäre.

Über mehrere Monate hat Anna Zamecka die Familie von Ola und Nikodem im Alltag begleitet. Der Kontakt mit der polnischen Filmemacherin entstand aus einer Zufallsbekanntschaft, aber „Kommunion“, der aktuell auch auf dem Berliner Festival Filmpolska läuft, besitzt trotz dieser Willkür eine allgemeingültige Aussagekraft, was nicht zuletzt an Zameckas untrüglichem Blick für szenische Details liegt: ein Bild von Papst Johannes Paul II. im Hintergrund, das wiederkehrende Motiv widerspenstiger Kleidungsstücke. Ohne die spezifische familiäre Situation für eine Großthese über die polnische Gesellschaft zu instrumentalisieren, erzählt „Kommunion“ mit viel Aufmerksamkeit und Fürsorge ein stilles Sozialdrama.

Durch die Religionsprüfung gerasselt

Heldenhaft ergreift Ola in dieser zerbrochenen Familienkonstellation die Initiative. „Kommunion“ besteht aus sorgfältig komponierten und organisch ineinander fließenden Alltagsbeobachtungen, die sich um ein zentrales Ereignis drehen: Nikodem soll die Heilige Kommunion erhalten, was im staatstragend katholischen Polen einer Initiation gleichkommt. Nur ist der Junge überhaupt nicht in der Lage, die Bedeutung dieser Zeremonie zu verstehen; einmal ist er bereits durch die Prüfung im Religionsunterricht gefallen.

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Nun liegt es an Ola, ihrem Bruder zu helfen: Sie paukt mit ihm die Zehn Gebote, die Kommunion proben sie mit Kartoffelscheiben. Im Austausch mit seiner älteren Schwester legt Nikodem dann auch immer wieder Wesenszüge an den Tag, die an die Erwachsenen – die Lehrer, die Eltern, den Pfarrer, die Sozialarbeiter – verloren sind. In der Badewanne verblüfft er aus heiterem Himmel mit dem Satz „Realität wird Fiktion“, vor der Beichte beweist er seinen eigenwilligen Humor, wenn er von der Kanzel „Ich bin ein Halbgott“ ruft.

Für Ola hat die Kommunion noch eine persönliche Dimension. Sie will ihre Mutter überreden, anlässlich der Feier zur Familie zurückzukehren. Viel Verantwortung für ein Kind, noch nicht einmal im Teenageralter. Aber Ola besitzt eine natürliche Stärke, die sie beim Multitasking im Haushalt und in der Schuldisco beweist. Und weil alle diese Kraft akzeptieren, lässt niemand sie noch Kind sein. Die Szenen zwischen den Geschwistern legen es dabei nicht auf die Unmittelbarkeit des Dokumentarfilms an. Zamecka arbeitet mit einer klaren, unaufdringlichen Bildsprache. Die Nähe zu Ola und ihrem Bruder entsteht in der Montage.

„Kommunion“ läuft in vier Berliner Kinos. Filmpolska: bis 10. 5., www.filmpolska.de

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