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Dokumentarfilm: Zum Geburtstag gibt’s Schnecken

Ulrike Schamoni ist Porträtfotografin. Nun hat sie aus den Videotagebüchern ihres Vaters Ulrich einen Film montiert. "Abschied von den Fröschen" startet am Donnerstag in den Kinos. Eine Familiengeschichte.

Und dann, ein Jahrzehnt später, steht er wieder vor ihr, als hätten sie sich am Tag zuvor das letzte Mal gesehen. Trägt den weißen Hausanzug, den er so liebte, und sagt fast beiläufig, es sei erstaunlich, dass die Lilien aufgegangen seien, es habe doch die ganze Zeit geregnet.

Was andere sich vergeblich wünschen, hat Ulrike Schamoni erlebt. Nach dem Tod ihres Vaters hat sie ihn wiedergesehen, 170 Stunden lang. Der leukämiekranke Regisseur Ulrich Schamoni hatte die letzten anderthalb Jahre vor seinem Tod 1998 ein Videotagebuch geführt. Ein Jahrzehnt später brachte seine Tochter den Mut auf, die Bänder zu sichten. Es sollte nicht beim bloßen Wiedersehen bleiben. In den kommenden vier Jahren entsteht ein Gemeinschaftswerk von Vater und Tochter: Sie, die Fotografin, bringt das Tagebuch von ihm, dem Regisseur, in Filmform. Herausgekommen ist der Dokumentarfilm „Abschied von den Fröschen“, der am Donnerstag in den Kinos anläuft. Ein sehr persönliches Farewell, ein Homevideo der besonderen Art.

Das Zuhause hat in Ulrich Schamonis Werk schon früh eine Rolle gespielt. Mit seinem ersten Film „Es“, in dem sich ein Paar zur Abtreibung entschließt, wird er – wie sein Bruder Peter – als Vertreter des Neuen Deutschen Films bekannt. Vom Erlös kauft er sich eine Villa mit Garten in Berlin-Grunewald. Dort verbringt Ulrike Schamoni die ersten Jahre ihres Lebens, bevor sich ihre Eltern trennen, dort gehen auch die Zuschauer von Schamonis Filmen ein und aus: „Chapeau Claque“, „Wir zwei“ und das „Traumhaus“ spielen alle in dieser Villa.

In den achtziger Jahren wird der Filmemacher zum Medienunternehmer, er gründet unter anderem den Radiosender 100,6. Als er erkrankt, kehrt er zu seinen Wurzeln zurück: In „Abschied von den Fröschen“ wirkt er wie einer, der sich mit einer Kamera in der Hand eben am wohlsten fühlt. Sie ist die letzten anderthalb Jahre seines Lebens immer dabei, ob er nun frühstückt, telefoniert oder die Haare geschnitten bekommt. Fast noch häufiger als Schamoni sieht man die Frösche, Schnecken und Vögel in seinem Garten. Voller Ehrgeiz versucht er etwa, mit der Kamera den Moment einzufangen, in dem sich ein Vogel auf den Ast des Kirschbaums setzt und eine Frucht stibitzt. Endlich gelingt es Schamoni, und der Aufwand hat sich gelohnt: Der Bildausschnitt ist perfekt gewählt.

Die Exaktheit der Kadrage überrascht immer wieder. Obwohl Ulrich Schamoni mit Protagonisten arbeitete, die nicht auf Regieanweisungen hören, würden viele seiner Filmaufnahmen auch als Fotografien überzeugen. Und so staunt Ulrike Schamoni, als sie das Material sichtet, auch darüber, wie sehr die Arbeit ihres Vaters ihrer eigenen gleicht. Sie selbst ist Fotografin. Vielleicht, sagt sie, weil ihr das Erzählen mit Bildern ein natürliches Bedürfnis war, aber das Medium Film durch den Vater schon besetzt war. 1989 beendet sie ihre Ausbildung an der Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie in München – genau der richtige Zeitpunkt: Eigentlich will Ulrike Schamoni zu einer Nachrichtenagentur, die Wende erlebt sie wie ein „großes Praktikum“. Als der erste Zug mit deutschen Flüchtlingen aus der Prager Botschaft in Hof eintrifft, wartet sie dort schon seit Stunden. Auch am 9. November 1989 ist sie am richtigen Ort. Der Vater wird an diesem Tag 50, die Tochter soll die Feier fotografieren, am Ende fotografiert sie in dieser Nacht in Berlin die Feier eines ganzen Landes.

Beruflich schlägt sie dann doch eine andere Richtung ein. Ihre Spezialität werden Porträts. Sie arbeitet für das „Zeit-Magazin“, für „Geo“ und „Stern“, zieht mit ihrem Mann, dem Fotografen André Rival, nach New York, ist für „Vogue“ und „New Yorker“ tätig. Als ihr Vater erkrankt, kehrt sie nach Berlin zurück, heute wohnt die 45-Jährige in Zehlendorf. Den langsamen Zugriff, der ihre Arbeit auszeichnet, die Intensität von Porträtaufnahmen findet sie im Filmtagebuch des Vaters wieder.

„Abschied von den Fröschen“ war ein langwieriges Unterfangen. Zwei Jahre langt transkribiert sie die 170 Stunden. Alle vier Wände des Zimmers, in dem sie mit der Cutterin Grete Jentzen sitzt, sind mit dem Text tapeziert. Zwischen die geschriebenen Seiten klebt Schamoni Filmstills, chronologisch geordnet. Da weiß sie schon, dass die 170 Stunden, so beliebig und improvisiert Ausschnitte auch wirken, eine klare Dramaturgie haben: Dreht sie sich in dem Raum einmal um ihre Achse, werden nacheinander Frühling, Sommer, Herbst und Winter sichtbar. Die Jahreszeiten sind unverzichtbar für die Struktur des Films. Einige Male, sagt sie, habe sie versucht, sie mittels Zeitraffer oder Zeitsprünge zu durchbrechen, doch das habe nicht funktioniert. Die ordnende Hand des Vaters war zu stark.

Auch die Themen hat er gesetzt: Da ist zum Beispiel die Baustelle auf dem Grundstück nebenan. Schon morgens schwappt der Baulärm hinüber, eine riesige Baugrube wird ausgehoben; das Gartenidyll ist in Gefahr. Damit hat der Filmemacher einen Weg gefunden, über Bedrohung zu sprechen, ohne seine tödliche Krankheit zu erwähnen. Dennoch ist „Abschied von den Fröschen“ eine eigenständige filmische Leistung der Tochter. Nicht nur weil sie ihn collagenartig mit Ausschnitten aus seinen Spielfilmen angereichert hat. Auch weil der Vater mit dem Material anderes im Sinn hatte. Ulrich Schamoni war immer sehr technikaffin, zuletzt begeisterte ihn das Internet. Sein gefilmtes Tagebuch wollte er nach und nach ins Netz stellen. Heute würde man das einen Videoblog nennen, kurz: Vlog, und diese Idee nicht weiter verwunderlich finden. Doch Schamoni hatte den Einfall 1996 – da gab es gerade mal die ersten Blogs.

In den vergangenen Jahren ist das Thema Tod vielfältig künstlerisch verarbeitet worden, vor allem in der Literatur. Meist kamen die Angehörigen zu Wort, von Georg Diez’ „Tod meiner Mutter“ bis hin zu Joan Didions „Blaue Stunden“. In „Abschied von den Fröschen“ meldet sich der Sterbende selbst zu Wort, und das Erstaunliche ist: Das Sterben erwähnt er kaum. Mit dieser Nichtachtung gegenüber dem Thema, vor dem alle Ehrfurcht haben, enttäuscht er jede simple Erwartungshaltung. Spektakulär unspektakulär geht sein Leben im Angesicht des Todes weiter. „Ich merke, dass ich Hunger habe“, sagt er etwa. „Ich mache mir jetzt Cornflakes und dann sehen wir weiter.“ Statt mit den großen Themen beschäftigt er sich mit den kleinen Tieren seines Gartens.

Unter den vielen Bändern, die Ulrike Schamoni fand, war eins direkt für sie bestimmt. Ein Geburtstagsgeschenk. Auch darauf finden sich keine weisen Worte und keine große Lebenslehre – dafür minutenlang Aufnahmen von Schnecken. Poesie und Schönheit, die durchs Gras kriechen. Darin steckt eben doch eine Botschaft. Dass sie bei den Menschen ankommt, das hat Ulrike Schamoni auf der Berlinale erlebt. Der Film bewegte selbst diejenigen, die von Ulrich Schamoni noch nie gehört hatten. Nun möchte die Tochter auch dem Lebenswerk ihres Vaters wieder mehr Beachtung verschaffen. Der erste Schritt ist gemacht: Im kommenden Jahr werden „Es“, „Chapeau Claque“ und „Abschied von den Fröschen“ im New Yorker MoMa gezeigt. Dann hat es Schamoni in seinem weißen Hausanzug bis nach Amerika geschafft.

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