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Verloren in der Fremde. Der Schweizer Reporter aus „Chris the Swiss“.

© Real Fiction

Dokumentation "Chris the Swiss": Gewehr statt Mikrofon

Anja Kofmel erforscht in „Chris the Swiss“ den Tod ihres Cousins im serbisch-kroatischen Krieg. Sie mischt dabei dokumentarische Elemente mit Animationssequenzen.

Die Front ist nur wenige Kilometer von Zagreb entfernt, als der Journalist Christian Würtenberg im Oktober 1991 mit dem Zug in der kroatischen Hauptstadt ankommt. Aus der Ferne hört er das tiefe Grollen der Gefechte, das für in klingt „wie das warnende Knurren eines wütenden Tieres“.

Der junge Schweizer ist von diesem Knurren fasziniert, die Warnung schlägt er in den Wind. Eine Entscheidung, die der drei Monate später mit dem Leben bezahlen wird. Was in dieser Zeit passiert ist, hat zwei Jahrzehnte später seine Cousine Anja Kofmel für ihr Langfilmdebüt „Chris the Swiss“ recherchiert.

Die 1982 geborene Autorin und Regisseurin stützt sich dabei auf Artikel, Hörfunkbeiträge und Tagebuchaufzeichnungen von Würtenberg, die sie zum Teil im Film zu hören sind. Zudem reist Kofmel, die ihren Cousin als Kind bewunderte, auf den Spuren des damals 26-Jährigen nach Kroatien und interviewt zahlreiche seiner Weggefährten, Kollegen sowie seine Eltern und seinen Bruder Michael. Obwohl sie nur Bruchstücke der Geschichte kennt, entsteht in siebenjähriger Arbeit schließlich das facettenreiche Porträt eines Mannes, der neben seiner Abenteuerlust auch über eine große Beobachtungsgabe verfügt und möglichst nah an den Konflikt heranzukommen versucht.

Der Reporter schließt sich einer Söldnertruppe an

Neben alten Fernsehaufnahmen und kurzen Videosequenzen, die Würtenberg in Kroatien zeigen, visualisiert Anja Kofmel die letzten Wochen ihres Cousins vor allem mit handgezeichneten Schwarz- Weiß-Animationen. Diese an den autobiografischen Zeichentrick-Film „Persepolis“ erinnernden Sequenzen gehen immer wieder über in expressionistische Passagen voller schwarzer Wirbel, Tentakeln und Monsterfiguren. Die so erzeugte Atmosphäre von Bedrohung und Ungewissheit, passt auch zu dem Alptraum, den Anja Kofmel als Kind immer wieder träumte, nachdem sie vom Tod ihres Cousins erfahren hatte.

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Eine Schlüsselrolle in „Chris the Swiss“ spielt der bolivianische Journalist Eduardo Rózsa Flores, genannt Chico. Kofmel zeichnet ihn als gedrungenen Typen mit verschatteten Augen und einem großen Kruzifix um den Hals. Würtenberg lernt ihn im Hotel Interkontinental in Zagreb kennen, wo alle ausländischen Journalisten absteigen. Allerdings wechselt Flores bald darauf seinen Job: Er gründet die internationale Söldnertruppe namens PIV, die auf kroatischer Seite kämpft.

Die österreichische Kriegsreporterin Heidi Rinke nennt diese paramilitärische Truppe „einen Haufen rechtsextremer Krimineller“, der von Mordlust getrieben wird. Es schockt sie, als Chris sich dieser Gruppe „Hirnkranker“ anschließt, denn die PIV tötet ihrer Meinung nach serbische Zivilistinnen und Zivilisten, die auf kroatischem Gebiet zurückgeblieben sind.

In Kroatien gab es Probleme mit der Filmförderung

Was Anja Kofmel mit großer journalistischer Akribie über die PIV zusammenträgt – sie macht ihrem Cousin damit alle Ehre –, ist brisant und verleiht „Chris The Swiss“ in der zweiten Filmhäfte eine fast thrillerhafte Spannung. So gab es offenbar finanzielle Verbindungen zu Opus Dei, die den fanatischen Katholiken Flores im Kampf gegen die orthodoxen Serben unterstützten. Dass Flores mit großer Wahrscheinlichkeit auch für den Tod von Chris Würtenberg verantwortlich ist, gilt in dessen Familie und bei seinen ehemaligen Kollegen als sicher.

Der Journalist Christian Würtenberg (1964-1992).
Der Journalist Christian Würtenberg (1964-1992).

©  Real Fiction

In Kroatien ist „Chis the Swiss“ auf großen Widerstand gestoßen. Nachdem 2016 die konservative Regierung unter Premier Andrej Plenković an die Macht kam, verzögerte die staatliche Filmförderung plötzlich schon zugesagte Zahlungen. Die Regisseurin musste das Animationsstudio in Zagreb schließen, wo sie von 2015 bis 2017 an dem Film gearbeitet hat.

Weil er im vergangenen Jahr zum Festival von Cannes eingeladen war, kam er doch noch auf die Leinwand und lief auf diversen Festivals, so auch beim Animafest Zagreb. Doch einen regulären Kinostart in Kroatien hatte der Film bis heute nicht, was zeigt, wie schwer sich das Land noch immer mit der kritischen Aufarbeitung des Krieges tut. Hinschauen wäre besser, zumal wenn es um ein so überzeugendes, starkes Werk wie „Chris the Swiss“ geht.
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