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Dokumentation: Klaus Staeck über die Gefahr der "Blogorrhoe"

Der Präsident der Akademie der Künste Klaus Staeck zur Preisverleihung von "Der lange Atem": Seine Rede über die Gefahr, der "Blogorrhoe" zu erliegen - eine Verteidigung des klassischen Journalismus.

Vor gut einem Monat hatte mich der Journalistenverband aufgefordert, für diese Preisverleihung ein kurzes Grußwort zu schreiben. Sie können es nachlesen, ich muss mich also nicht Wort für Wort wiederholen.

Nur soviel: Angeregt hatte mich die freimütige Aussage eines Mitglieds der Piratenpartei, (die diesmal noch real wie virtuell an der 5% Hürde scheiterte): „Qualitätsjournalismus brauche ich nicht, ich habe doch meine Blogs“.

Ich gestehe, ich bin kein Blog-Leser oder Verfasser, und deshalb auch nicht in der Gefahr, der Blogorrhoe zu erliegen. Und ich bleibe natürlich bei meiner Verteidigung eines klassischen Journalismus. Eines Journalismus der sich als Instrument lebendiger Demokratie versteht, der die wirklichen Probleme der Welt und der Menschheit ernst nimmt, der hilft, nach Lösungswegen zu fragen, und der Politik als Ringen um die richtigen Antworten darstellt, statt sie zum Comedyereignis mit hohem Spaßfaktor zu verharmlosen.

Diese Preisverleihung gilt jenen, die sich mit langem Atem dem Bohren dicker Bretter hingegeben haben. Jenen, die sich nicht damit abspeisen ließen und weiterhin lassen, dass die Kraft des faktischen jede weitere Recherche und Nachfrage erübrige. Also den Hartnäckigen in Ihrer Zunft, die uns Zeitungsleser, Radiohörer, Fernsehzuschauer bei Neugier halten. Und als Lohn für Erkenntnisgewinn, Lese- Hör- und Zuschauvergnügen kaufen wir Zeitungen, bezahlen wir freudig die GEZ-Gebühr. Das ist unser Bekenntnis zum Qualitätsjournalismus.

Aber was ist nun mit den Blogs? Werden sie in der jetzt angebrochenen digitalen Zukunft den klassischen Journalismus begleiten oder überflüssig machen? Sind die Blogger, diese Heimwerker der Meinungsproduktion, die neuen Gegner der Journalisten, die ihr Handwerk von der Pieke auf gelernt haben, die ihre Haltung und ihre Meinung in Redaktionskonferenzen aber auch Auge in Auge mit Politikern, Repräsentanten der Wirtschaft wie der Wirtschaftskriminalität behaupten müssen?

Wird die Qualitätspresse mit ihren Kommentaren und Meinungsseiten kampflos den Bloggern übergeben?

Ich glaube es nicht, dass wir bald nur noch die dürren Nachricht lesen und den Rest der Meinungsbildung googelnd aus den Internetforen destillieren werden.

Und wenn es so wäre, dann würde ich natürlich auch weiterhin die mir vertrauten, wichtigen Autorennamen in die Suchmaschine eingeben, um im Universum des weltweiten digitalen Geschwätzes etwas glaubwürdiges, authentisches zu finden, eben jene Stimme, die zählt…

Zugegeben, die apokalyptische Vision vom Untergang des Journalismus ist noch etwas verfrüht. Aber gibt es nicht deutliche Signale für den sich nahenden Epochewechsel in der digitalen Kultur?

Ich zitiere aus einer bemerkenswerten Thesensammlung, die ich gerade im „Perlentaucher“ entdeckt habe – jenem Medium, das wie ein Scharnier zwischen der alten papierenen und der neuen digitalen Medienwelt funktioniert, das uns im Internet auf die gedruckten journalistischen Höhepunkte aufmerksam macht und zugleich unser traditionelles Urheberrecht im digitalen Zeitalter häufig in Frage stellt.

Dort war am Wochenende mit Blick in die Zukunft zu lesen: „Die Rolle von Verlagen und Buchhandel wird sich (…) nicht minder radikal reduzieren als etwa die des Fernsehens. Die einstigen Gatekeeper (Torwächter) werden von Institutionen medialer Grundversorgung zu - quantitativ, wenn auch nicht unbedingt ökonomisch und kulturell - marginalisierten Zulieferern diverser Supplementierungen. Im Idealfall garantieren sie sorgfältig ausgewählte, gut lektorierte und professionell gestaltete Publikationen.“

Setzt man „Journalisten“, „Redaktionen“ und „Zeitungen“ an die Stelle von „Verlagen“ und „Buchhandel“ so können wir hier auch den prognostizierten Bedeutungsverlust der journalistischen Medien in nicht ferner Zeit herauslesen.

Der Autor, Gundolf F. Freyermuth schreibt in dieser Kurzfassung seines Essays "Die doppelte Zukunft des Buchs", 8. These:

„Die Aufhebung der massenkulturellen Trennung in Sender und Empfänger war für den Durchschnittsbürger der entwickelten Länder spätestens um 2005 erreicht: Jeder Laptop- oder Handy-Besitzer kann seitdem überall und zu jeder Zeit Mediales - Texte, Fotos, Videos - nicht nur nach Belieben konsumieren, sondern auch selbst produzieren und anbieten. Gegenwärtig existieren weltweit über 150 Millionen Text- und Videoblogs…“

Im quantitativ unüberschaubaren Output der Blogger und Selbst-Herausgeber sieht Freyermuth eine „schleichende Veränderung des literarischen Lebens wie der literarischen Produktion“. Die „Leser“, die sich bald immer weniger an den Angeboten der großen Verlage orientieren, sieht er zu „Nutzern“ werden: das massenkulturell-passive Publikum erwacht online und wird dank entsprechender Software zur virtuellen Öffentlichkeit. Ich gebe zu, das erscheint mir gespenstisch. Es bedeutete die Ablösung qualifiziert ausgebildeter, glaubwürdiger und in diesem Beruf nicht zuletzt ethisch verpflichteter Autoren durch den Schwarm aller, die Zugang zum weltweiten Web haben, und allüberall ihre Meinung kundtun können. Für Journalisten kann man hier analog Literaten, Filmemacher und andere Kreative setzen.

Ist das die vollkommene Demokratisierung in den digital verbreiteten Medien? Ist das, in freier Abwandlung zu „jeder ist ein Künstler“, die Schlußfolgerung, jeder wäre in seiner Bloggerexistenz schon ein Publizist, Kommentator, Meinungsbildner?

Welche ethischen, letztlich juristischen Grenzen zum Beispiel bei öffentlicher Jagd auf Andersdenkende, Andersrassige, Andersgläubige wird es noch geben, wenn Blogs aus dem Ruder redaktioneller Filterung laufen und zu Sammelbecken von zunächst anonymen geistigen und politischen Finsterlingen werden? Das habe ich mich übrigens auch schon in den letzten Tagen bei den zahlreichen Leserbriefen gefragt, die Thilo Sarrazins Provokationen mit einem „endlich sagt’s mal jemand“ freudig begrüßt haben. Als permanenter Bahnfahrer bin ich der Allgegenwart der BILD-Zeitung quasi zwangsläufig ausgeliefert. Sie ist für mich der tägliche Beweis, dass sich das „gesunde Volksempfinden“ jederzeit hochheizen lässt. (Mit oder ohne Sarrazin.) Schon deshalb „gehört dieses Blatt auf keinen Redaktionstisch“, wie Ihr Kollege, der langjährig e Spanienkorrespondent der ARD Volker Mauersberger, jetzt in einem SWR-Interview forderte.

Dennoch, ich habe derzeit keine Angst davor, dass sich ein demokratiebewusster und von der Demokratie gebrauchter Journalismus im ganzen deutschen Medienspektrum für einen populistischen Rassismus hergeben würde.

Was ich Ihnen, was ich vor allem den Nominierten wie den späteren Preisträgern wünsche: Lassen Sie sich nicht beirren von Schreckensmeldungen, die uns aus der digitalen Zukunft erreichen!

Noch leben wir im Zeitalter analog raschelnden Papiers, noch gibt es Redaktionen, die Vertrauen in Ihre Arbeit setzen, noch gibt es Ihre Courage, sich mit dem Ergebnis einer brisanten Recherche und unter vollem Namen – und mit langem Atem – um Kopf und Kragen zu schreiben.

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