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Jamal Khashoggi und seine Partnerin Hatice Cengiz, die ebenfalls als Journalistin arbeitet.

© DCM/HanWay

Dokumentation über Jamal Khashoggi: Märtyrer für die Meinungsfreiheit

2018 wurde der Journalist Jamal Khashoggi im Auftrag des saudischen Kronprinzen getötet. Der Dokumentarfilm „The Dissident“ rekonstruiert den Fall.

Von Andreas Busche

Am 17. Oktober 2018 erschien unter dem Titel „What the Arab world needs most is free expression“ die letzte Kolumne von Jamal Khashoggi in der „Washington Post“. Der saudi-arabische Journalist war zwei Wochen zuvor von einem Termin im Konsulat seines Landes in Istanbul nicht zurückgekehrt.

Als sein Kommentar erschien, herrschte bereits Gewissheit, dass der Journalist im Auftrag des Kronprinzen Mohammed bin Salman in den Räumlichkeiten der saudischen Vertretung umgebracht worden war. Die Abschiedsworte der „Post“-Redakteurin Karen Attiah lauteten damals: „Die Kolumne belegt perfekt sein Engagement und seine Leidenschaft für den Frieden in der arabischen Welt. Dafür gab er sein Leben.“

Bryan Fogels Dokumentarfilm „The Dissident“ rekonstruiert noch einmal die Vorkommnisse im saudischen Konsulat, die vor über zwei Jahren eine internationale diplomatische Krise auslösten – mit Donald Trump mittendrin, der vor den Kameras von CNN und Fox News trotzig auf Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien beharrte.

Für einen vertuschten Auftragsmord sind die grausamen Umstände der Tat in geradezu verblüffender Detailliertheit bekannt; ob dahinter Dilettantismus oder Skrupellosigkeit stecken, kann auch Fogels Doku-Thriller nicht mit letzter Sicherheit beantworten.

Cyberwar mit saudischen Trollfarmen

Die widersprüchlichen Aussagen des Königshauses zu Khashoggi Verbleib (Überwachungskameras zeigen einen Angestellten, der in der Kleidung des Journalisten das Konsulat verlässt und diese kurz darauf in einer öffentlichen Toilette entsorgt), die Ermittlungen der türkischen Polizei, die Informationen der Geheimdienste – darüber berichteten im Oktober 2018 die internationalen Medien in allen Einzelheiten.

„The Dissident“ sortiert die Fakten und Hintergründe und schreibt nebenbei Jamal Khashoggi nicht nur die Rolle des investigativen Journalisten zu, sondern erinnert an ihn auch als politischen Aktivisten für Meinungsfreiheit.

Der überraschendste Zeuge, den Fogel bei seinen Recherchen aufgetan hat, ist Omar Abdulaziz. Der 27-Jährige lebt im Exil in Montreal und nahm mit dem gerade unter Lebensgefahr in die USA geflohenen Khashoggi ein Jahr vor dessen Tod erstmals Kontakt auf. Abdulaziz arbeitete damals schon mit Aktivisten in der arabischen Welt zusammen, um dem Cyberwar mit saudischen Trollfarmen mit Hilfe einer Art Graswurzel-Hacking-Kampagne zu kontern.

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Aus Erleichterung, fern im Exil einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, finanziert der vereinsamte Khashoggi den Hack sogar. Da Abdulaziz sich dank israelischer Überwachungssoftware zu diesem Zeitpunkt aber längst auf dem Radar des saudischen Geheimdienstes befand, führte die Spur im Oktober 2018 direkt zu Khashoggi.

Auf der Suche nach einem Kinohelden

Im Grunde erzählt „The Dissident“ zwei Geschichten: einen Polit-Thriller, inklusive einem nervösen Suspense-Score, Nachrichten- und Überwachungsaufnahmen, Drohnenflügen, Mordprotokollen und CIA-Whistleblowern. Und das Porträt eines gebrochenen Mannes, der aus seinem Heimatland fliehen musste, um im Exil ein vermeintlich sicheres Leben zu führen.

In der türkischen Journalistin Hatice Cengiz fand er eine neue Partnerin. Am 2. Oktober 2018 suchte Khashoggi das Konsulat auf, um die letzten Unterlagen für eine Heiratsurkunde abzuholen. Cengiz wartete stundenlang am Eingang der Vertretung auf seine Rückkehr.

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Die Interviews mit Hatice Cengiz geben dem globalen Verschwörungsthriller emotionalen Halt. Fogel, der 2018 mit dem Enthüllungsfilm „Icarus“ über das russische Dopingsystem den Oscar gewann, zeigt sie verzweifelnd am Boden kauernd oder anklagend in die Kamera sprechend.

Zwischen ihr und den Interviews mit Omar Abdulaziz, den Audiomitschnitten ihrer Gespräche und diversen Chat-Verläufen, wirkt „The Dissident“ eher auf der Suche nach einem veritablen Kinohelden, einem „Unbestechlichen“. In der Form des Dokumentarfilms klingt das verlockend, doch man sollte auf der Hut sein.

Überwachungsarchitektur wie aus den „Bourne“-Filmen

Die Dramaturgie ist stets eine Spur zu sehr auf Effekte bedacht, die slicke Form erinnert an die Filme eines Alex Gibney („Taxi to the Dark Side“). Wenn die Computerviren die mobilen Endgeräte befallen, beginnen die CGI-Grafiken wie im Todeskampf zu zucken. Die globale Überwachungsarchitektur könnte auch aus einem „Jason Bourne“-Film stammen.

Man kann die Hintergründe der Ermordung von Jamal Khashoggi nicht oft genug erzählen. Und trotzdem braucht eine Geschichte, die so gut dokumentiert ist, einen Dreh, der über die Tragik eines Regime-nahen Journalisten, der aus moralischen Gründen die Seiten wechselt, hinausgeht. Die Doku „Kingdom of Silence“ nahm den Mord an Khashoggi zum Anlass für eine Kritik an den wirtschaftlichen Verstrickungen der USA und Saudi-Arabien.

„The Dissident“ bleibt da näher am Fall, streift das Thema der Cyber-Spionage zum Beispiel nur am Rande: als es etwa darum geht, dass das saudische Königshaus aus Rache an der „Washington Post“ die außereheliche Affäre des Herausgebers (und Amazon-Gründers) Jeff Bezos leakte. Globale Politik ist ein schmutziges Geschäft, ja. Ein politischer Dokumentarfilm sollte dann aber doch zwischen seriöser Recherche und Boulevard-Geschichten abwägen. (Jetzt als Video-on-Demand verfügbar.)

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