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Mia Farrow und ihre Tochter Dylan bei einer New Yorker Theaterpremiere im Mai 2003.

© Foto: Joseph Marzullo/Mauritius

Dokumentation über Vorwürfe gegen Woody Allen: Die Geschichte aus der Sicht einer Überlebenden

In den USA sorgt die vierteilige HBO-Doku „Allen v. Farrow“ für eine neue Debatte um die Missbrauchsvorwürfe gegen Woody Allen. Doch es gibt auch Kritik.

Von Andreas Busche

Eine klare Rollenzuweisung von Schurke und Heldin darf man in diesem Familiendrama nicht mehr erwarten. Schon daher taugt die Schlammschlacht zwischen Mia Farrow und Woody Allen, die Anfang der neunziger Jahre in den US-Medien ausgetragen wurde, trotz prominenter Besetzung nicht zur typischen Hollywood-Erzählung.

Der Sorgerechtsstreit um die drei gemeinsamen Kinder Satchel (heute Ronan), Moses und Dylan – die letzteren zwei adoptiert – aus der Beziehung des power couples drehte sich um den Vorwurf, Woody Allen habe sich am 4. August 1992 an seiner damals siebenjährigen Tochter Dylan sexuell vergangen.

Der Prozess produzierte ein Konvolut aus Gutachten, Zeugenaussagen und Protokollen, allein 60 Kartons befinden sich im Archiv des Obersten Gerichts in New York; dazu Interviews, ein offener Brief von Dylan Farrow von 2014, Solidaritätsbekundungen und schließlich im vergangenen Jahr Allens Memoiren. Nur mit einem ist nicht mehr zu rechnen: einem rechtskräftigen Urteil.

Die vierteilige HBO-Dokumentarserie „Allen v. Farrow“, die in Deutschland bisher nicht zu sehen ist, versucht mit 30 Jahren Abstand noch einmal Licht ins Dunkel zu bringen. Dafür wird sie in den USA gerade gefeiert – aber auch als zu einseitig kritisiert. Vergangene Woche schrieb Hadley Freeman im britischen „Guardian“, dass die Filmemacher:innen Amy Ziering und Kirby Dick Details, die nicht in Dylan und Mia Farrows Version passen, auslassen würden.

Zudem lehnten Woody Allens Fürsprecher (darunter Moses Farrow), Allen selbst und seine Frau Soon-Yi Previn, die Adoptivtochter von Mia Farrow und ihrem zweiten Mann, Interviews ab. Sie seien von der Produktion zu spät für ihre Mitarbeit angefragt worden.

Allen: Schmierenkampagne voller Unwahrheiten

Stattdessen lancierte das Ehepaar nach der Premiere im Branchenmagazin „Hollywood Reporter“ eine Erklärung, in der es Ziering und Dick eine von Dylans Stiefbruder Ronan Farrow orchestrierte „Schmierenkampagne voller Unwahrheiten“ vorwarf. Das Drama scheint sich zu wiederholen, nur heute unter völlig anderen Vorzeichen.

Die Filmbranche hat bereits auf ihre Weise Tatsachen geschaffen. In Hollywood ist Allen auch ohne Beweise längst eine Persona non grata: Sein letzter Film kam in den USA nicht mehr in die Kinos, frühere Darsteller:innen wie Timothée Chalamet oder Greta Gerwig distanzierten sich von Allen, Amazon entließ ihn aus einem hochdotierten Vertrag. Braucht es „Allen v. Farrow“ da überhaupt noch?

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Die kurze Antwort: Ja, so lange man sich einiger Unzulänglichkeiten bewusst bleibt. „Allen v. Farrow“ ist die bislang umfassendste Darstellung der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs sowie des Prozessverlaufs. Vieles ist damals schon geschrieben worden, die Fakten sind bekannt. Über die Jahre schlichen sich allerdings Falschdarstellungen ein, nicht zuletzt gestreut von Allen und seinen Anwälten. Aber auch von den Medien. „Allen v. Farrow“ entledigt sich einiger dieser medialen Legenden.

Erstmals ist Dylan Farrows Videointerview zu sehen

So stellen Ziering und Dick noch einmal klar, dass das von der Staatsanwaltschaft in Connecticut in Auftrag gegebene Gutachten des Yale-New Haven Hospital, das die Glaubwürdigkeit der siebenjährigen Dylan infrage stellte und Allen als Beweis seiner Unschuld präsentierte, methodisch so fahrlässig war, dass sowohl der Oberste Richter in New York als auch der Staatsanwalt es als Beweisstück ablehnten. Auf diesem Gutachten basierte Allens Behauptung, Mia Farrow habe ihre Tochter zu Aussagen „gecoacht“, um das alleinige Sorgerecht zu erhalten.

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Wie zum Beweis zeigt „Allen v. Farrow“ erstmals Ausschnitte aus dem oft zitierten Video, das Mia Farrow nach Dylans Vorwürfen von den Gesprächen mit ihrer Tochter gemacht hat. HBO präsentiert es nun als spektakulären Coup.

Farrow behauptet, die Antworten gefilmt zu haben, um sie Dylans Psychologen zu zeigen. (Allen befand sich damals ebenfalls schon in Behandlung wegen einer „unangemessen intensiven“ Beziehung zu seiner Tochter). Das Video ist nur schwer auszuhalten, es wirkt alles andere als einstudiert.

Die Medien stellten Mia Farrow als rachsüchtig dar

„Allen v. Farrow“ präsentiert viel Anekdotisches, unter anderem die bekannte Vorliebe des Regisseurs für sehr junge weibliche Hauptfiguren. Auch Ziering und Dick lassen eine Agenda durchblicken; zuletzt haben sie sich mit Enthüllungsdokumentationen über sexuellen Missbrauch (unter anderem über den Musik-Produzenten Russell Simmons) einen Namen gemacht.

Doch man sollte „Allen v. Farrow“ weniger als Woody-Allen-Demontage verstehen; die Dokumentation stellt genug Material bereit (und ja, man würde gelegentlich etwas Widerspruch begrüßen), um sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Vielmehr ist es das erste Mal, dass Dylan Farrow ausführlich ihre Geschichte als Überlebende einer Missbrauchserfahrung erzählen kann. Die Gegenerzählung zur misogynen Version über ein fantasiebegabtes Kind, das von seiner rachsüchtigen Mutter zu einer Falschaussage gedrängt wurde – die bis zu den MeToo-Enthüllungen noch kursierte. In „Allen v. Farrow“ ist erstmals auch ein Telefonat zu hören, in dem Farrow Allen verzweifelt bittet, um der Kinder willen keinen Sorgerechtsprozess anzustrengen. Er weist sie kalt ab. Nur eine weitere Nuance. Man darf von der Serie keine abschließenden Antworten erwarten. Doch wer eine Meinung zu Woody Allen hat, sollte „Allen v. Farrow“ gesehen haben.

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