zum Hauptinhalt
Mehr als 100 Menschen starben am 25. Mai bei einem Angriff in Hula. Unter den Opfern sind viele Kinder.

© dapd

Dokumente der Gewalt: "Wir sehen alles und nichts. Wir sind blind"

Der Libanese Rabih Mroué eröffnet das Documentary Forum Berlin im Haus der Kulturen der Welt. Im Interview spricht er über Gewalt in Syrien und Bilder vom Tod.

Er ist ein Analytiker der politischen Bildsprache, ein Spieler zwischen Realität und Fiktion, einer der wichtigsten Künstler seines Landes. Rabih Mroué wurde 1967 in Beirut geboren. Er arbeitete fürs libanesische Fernsehen und gehört als Schauspieler, Regisseur und Bildender Künstler zum internationalen Festivalbetrieb. Mroué eröffnet am heutigen Donnerstag im Haus der Kulturen der Welt mit „The Pixelated Revolution“ das Berlin Documentary Forum 2, er ist bei der „Weltausstellung“ des HAU auf dem Tempelhofer Flugfeld vertreten und reist dann weiter nach Kassel zur Documenta. „The Pixelated Revolution“ wurde Anfang des Jahres beim „Push“-Festival in New York und vor einigen Wochen in Beirut gezeigt. Er bezeichnet seine Methode als Lecture Performance.

Rabih Mroué, Ihre jüngsten Projekte beschäftigen sich mit der Situation in Syrien. Wie nähern Sie sich dem Thema, was sind Ihre Quellen?
Es sind mehrere Arbeiten, und sie sind eng miteinander verbunden, sie behandeln die syrische Revolution auf unterschiedliche Weise. Es geht dabei nicht um eine Nachrichtenaktualität, sondern allgemein um die Rolle des Internet, des Mobiltelefons und der Bilder, die es produziert. Ich spreche von Bildern, die so nur aus Syrien kommen. Die Installation „Double Shooting“ in Tempelhof zeigt das Video eines Protestzugs, verwackelte Bilder, Menschen in hektischer Bewegung, dann plötzlich ist das Bild fokussiert, und man sieht einen Scharfschützen, einen Soldaten des syrischen Regimes, man sieht das Zielfernrohr – und plötzlich Blut.

Es ist anscheinend das Handy-Video eines Demonstranten irgendwo in Syrien, der seine eigene Erschießung gefilmt hat. Es geht sehr schnell, es ist verwirrend und erschütternd, wenn man begreift, was geschieht. Woher haben Sie das?

Es wurde auf Youtube hochgeladen. Das ist eben mein Thema: Wie benutzen die Demonstranten das Internet, wie zirkulieren diese Bilder?

Haben Sie die Echtheit dieses Videos überprüft?

Ich bin weder Journalist noch Detektiv. Ich kann es auch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen: Aber ich halte dieses Video für echt. Es ist kein Fake. Aber selbst wenn es nachgestellt wäre, es bliebe ein Phänomen. Im Übrigen will ich damit nicht zeigen, wie furchtbar, wie barbarisch das Assad-Regime ist. Dafür braucht es keinen Beweis mehr. Das dokumentiert sich von selbst. Ich bin Künstler. Mich interessiert die Verbindung von Bild und Tod und die Verwendung solcher Bilder. Mit diesen Fragen beschäftige ich mich seit über zehn Jahren. Einmal ging es dabei um das Bild der Palästinenser in Beirut, in einer anderen Arbeit habe ich die Videobotschaften von Selbstmordattentätern untersucht.

Der digitalisierte Tod. Das syrische Handy-Video mit dem Schützen, das Rabih Mroué in „Double Shooting“ zeigt.
Der digitalisierte Tod. Das syrische Handy-Video mit dem Schützen, das Rabih Mroué in „Double Shooting“ zeigt.

© HKW

Was unterscheidet die Situation in Syrien von Ägypten oder Libyen, von Tunis, wo die Arabellion begann?

Jede Revolution, jedes arabische Land, jede Stadt hat spezifische Bedingungen. In Syrien fällt auf, dass die Demonstranten niemals ein Stativ benutzen, wenn sie filmen, während das syrische Staatsfernsehen massiv sein Equipment benutzt, mit Stativ und was nicht alles. Schauen Sie, was für eine klare und brutale Symbolik sich da zeigt: Wenn man sich mit Stativ aufbaut, dann besitzt man das Land. Und diejenigen, die protestieren, rennen um ihr Leben.

Und wir schauen entsetzt und ohnmächtig auf die Bilder der Massaker, auf weiße Leichensäcke in Massengräbern.

In Kairo, in Bengasi, in Bahrain hat die Opposition über längere Zeiträume öffentliche Plätze besetzt. Medien konnten sich installieren, ausländische Fernsehteams und Reporter waren live dabei. Der syrischen Revolution fehlen die internationalen Journalisten. Wir haben nur zwei Quellen: das Staatsfernsehen, das vom Regime geführt wird, und das Internet, das die Opposition nutzt. Und die Rolle der UN-Beobachter ist schwach. In „The Pixelated Revolution“ spreche ich über diese Phänomene und zeige Filmmaterial.

"Ich will nichts beweisen. Ich bin kein Aktivist."

Diese Form der „Lecture Performance“ wird ja von einigen libanesischen Künstlern gepflegt, auch von Walid Raad zum Beispiel. Stehen Sie damit in der Tradition der arabischen Geschichtenerzähler, der Hakawati?

Nein, ich glaube nicht. Der klassische arabische Storyteller trug Heldengeschichten vor, er pries die Krieger und Taten eines Stammes, er wollte Gemeinschaft stiften, lobte das einfache, traditionelle Leben. Für diese Storyteller stellt die Stadt, die Großstadt etwas Böses dar, sie waren gegen die Moderne.

Wie die Geschichtenerzähler stehen auch Sie allein auf der Bühne, nur mit einem Laptop bewaffnet ...

Es gibt in Beirut auch noch traditionelle Hakawati-Treffen, und zwar im Theater. Aber dort sind sie nie auf die Idee gekommen, mich einzuladen, sie sehen zwischen meiner und ihrer Arbeit keinerlei Verbindung.

Sie erzählen doch auch von Krieg und Gewalt ...

Aber mit einer völlig anderen Intention. Ich will keine Ikonen, keine Märtyrer schaffen, im Gegenteil. Ich suche in der Ikonografie das Humane – was mir im Libanon manchmal Ärger bringt. Als ich vor ein paar Wochen in Beirut „The Pixelated Revolution“ aufführte, wurde ich wegen meiner distanzierten Haltung attackiert: Wie ich so dasitzen und kühl über Bilder und Gewalt sprechen könne, während nebenan in Syrien Menschen sterben. Aber ich sehe meine Rolle anders. Die Welt ist mit Bildern überflutet, wir sind blind geworden. Der Künstler muss diese Bilder wieder menschlich machen, Propaganda und Mythos dekonstruieren, Zweifel formulieren. Wenn ich ein Stück zeige, dann bin ich kein Aktivist. Wenn ich mich für eine Sache einsetze, dann mache ich das nicht in meiner künstlerischen Arbeit. Darin muss ich meine Überzeugungen, meine Gedanken offenlegen und reflektieren.

Schreckliche Bilder erreichen uns tagtäglich aus Syrien:

Früher einmal haben Künstler eine relativ leere Welt mit ihren Geschichten gefüllt. Geht es heute darum, die Menschen aus der Umklammerung der Bilder zu befreien, Platz zu schaffen?

Wir beziehen unsere Bilder und Geschichten aus Millionen Quellen. Wir sind mit Informationen überfüttert, wir werden bombardiert: Du siehst alles und nichts zugleich.

Dann steckt der Künstler in einem Dilemma: Was immer er tut, er produziert doch wieder neue Bilder, wenn auch dekonstruierte. Es kommt immer noch ein neues Narrativ hinzu.

Deswegen sage ich: Wir nehmen die Bilder, die von Staaten und Mächten und diesen Riesenmaschinen produziert werden, und spielen mit ihnen. Brechen sie, schütteln sie durcheinander. Angesichts der unendlichen Live-Bilder überall ist es für Künstler unmöglich, neue Bilder zu finden. Wir brauchen stattdessen neue Strategien. Aber darauf habe ich keine fertige Antwort.

Sie sind ein Dokumentarist?

Ich arbeite mit vorgefundenem Material. Deswegen ist es am Ende auch nicht wichtig, ob das syrische Video, das ich bei „Double Shooting“ benutze, echt ist. Das spielt keine Rolle. Denn es existiert.

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper. Das „Documentary Forum Berlin 2“ im HKW läuft vom 31. Mai bis 3. Juni. Rabih Mroués Performance beginnt am heutigen Donnerstag um 20 Uhr, anschließend hält der Kulturphilosoph Sylvère Lotringer einen Vortrag über Polizeifotos: „Framing Death – How to Shoot One’s Crime“. Catherine David hat die Ausstellung „A Blind Spot“ kuratiert. Infos: www.hkw.de. – Auf dem Tempelhofer Flugfeld eröffnet das Hebbel am Ufer am Freitag die sogenannte Weltausstellung „The world is not fair“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false