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Musik liegt in der Luft. Andreja Schneider und Merten Schroeder. Foto: Bresadola/Drama

© Bresadola/drama-berlin.de

Kultur: Dominante & Tunika

Bis es euch gefällt: Das Soloprogramm von Fräulein Schneider in der Bar jeder Vernunft.

Normalerweise ist sie Berufsbulgarin. Als Fräulein Schneider bildet sie das emotionale Zentrum, das die Geschwister Pfister zusammenhält. In ihrer künstlerischen Heimat, der Bar jeder Vernunft, wagt die Schauspielerin Andreja Schneider nun einen Soloabend – in dem sie gleich doppelt auftritt: Für „Televizija Bulgarija 1“ soll das Fräulein eine Talkshow moderieren, deren einziger Gast Andreja Schneider ist. Natürlich lässt der Star erst eine halbe Ewigkeit auf sich warten, taucht dann genau in jenem Moment auf, als die Moderatorin eine Suchaktion hinter der Bühne einleitet, und so weiter und so fort.

Ein nicht erst seit Heinz Erhardts Film „Drillinge an Bord“ beliebter Kunstgriff. Nur, dass sich hier – anders als in einer Leinwandproduktion – die gespaltene Persönlichkeit nicht einfach zusammenschneide(r)n lässt. Also läuft auf dem großen Bildschirm in Laurent Daniels schön-scheußlichem, postsozialistischem Studio-Bühnenbild ein Video über die Schneider, eine herrliche Persiflage auf die ARD-Sendereihe „Deutschland, Deine Künstler“. Das Grelle und Laute der Medienleute, das Divengetue, die emotionalen Überspanntheiten, die hier grotesk vorgeführt werden, lassen sich am Premierenabend übrigens auch live beobachten: vor und nach der Show, wenn das Saallicht im Spiegelzelt brennt. Denn die hauptstädtische Kleinkunst- Halbwelt ist an diesem Mittwoch fast vollzählig versammelt.

Mag die Idee hinter „Bis es euch gefällt“ ziemlich gaga sein, die von Tobias Rott inszenierte Show ist richtig Dada. Weil Fräulein Schneider nicht nur eine unzerrüttbare gute Laune hat, sondern auch jede Menge Selbstironie. Zweitfigur Andrea ist dagegen eine echte Nervensäge, die Mitspieler Merten Schroeder schnell ins Tuntentrauma treibt. Ganz gerecht unterstützt das dreiköpfigen „Orkestar Bulgari“ beide Kinstlarinnen mit derselben stilistischen Wendigkeit: Vom Einstieg mit einem brillant betexteten Ravel-„Bolero“ nimmt die klamottige Handlung von Bernd-Begemann-Songs über Beatles- und Stones-Hits bis zu Selbstkomponiertem vom musikalischen Leiter Matthias Binner immer mehr Fahrt auf, bis am Ende nur noch einer den gordischen Handlungsknoten durchschlagen kann: ein Deus-ex-Machina-Gewehr.

Doch keine Angst: Natürlich erlebt das Fräulein, diese Dominante in der Tunika, umgehend ihre Auferstehung, mit einem 1971er Petra-Pascal-Chanson: „Fällt das Glas mir aus der Hand,/seht, dann gibt’s halt ein paar Scherben,/und genauso möcht’ ich sterben.“ Großes Melodram, gefolgt von der R&B-Nummer „Beauty in the World“. Das nennt man wohl eine bulgarische Mischung . Frederik Hanssen

Bar jeder Vernunft, bis 30. September.

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