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Griff ans Gemächt. Adrian Strooper als Don Ottavio, sexuell belästigt von Erika Roos’ Donna Anna.

© dpa

"Don Giovanni" von Herbert Fritsch: Weine nicht, wenn der Degen fällt

In (s)panischer Spitze: Herbert Fritsch inszeniert Mozarts „Don Giovanni“ an der Komischen Oper.

Mit dem Vorspiel hat er es nicht so, dieser hibbelig erwartete „Don Giovanni“ an der Komischen Oper. Zunächst einmal tritt Intendant Barrie Kosky vor den Vorhang, um sich vom Regierenden Bürgermeister für die Rettung der drei Berliner Opernhäuser dankend zu verabschieden: „Unser Klausi ist sehr einzigartig!“

Danach geht es ohne Ouvertüre los auf der noch nackten Bühne, wo mit Verve und unter Gekreisch Porzellan zerdeppert wird. Kein Wunder, dass Leporello in diesem Saustall nicht mehr der Ausputzer sein will. Durchaus nachvollziehbar auch, dass der blinde Komtur so lange fruchtlos mit seinem Degen in der Gegend umherfuchtelt, bis es ihm langt und er sich das Requisit einfach unter die Achsel schiebt, um fortan für tot zu gelten. Aber nicht, ohne zuvor noch Funken aus der Beleuchtungselektrik zu schlagen.

Herbert Fritsch, dieser Artist des Theaterklamauks, ist vom Riesensofa seines „Opus Nr. 1“ ins Herz der Oper gehüpft. Angeblich hat der ehemalige Castorf-Mime auch niemals etwas anderes inszeniert. Nun will er Mozarts Wüstlingsdrama, die Oper aller Opern, von entstellenden Sinnfragen und eingefühlter Heulsusigkeit befreien. Beim „Don Giovanni“ winkt Fritsch reiche Beute. Doch wer mit Slapstick gegen Moral und Besserwisserei anturnen will, muss den richtigen Anlauf wählen. Da steht erst einmal die Ouvertüre im Weg, mit der Mozart so stark ins Metaphysische ausgreift, dass mit Stummfilmaugenrollen und Comic-Jokerlächeln nicht dagegen anzukommen ist.

Also verbannt Fritsch sie vom Beginn und lässt sie erst nach einigen klemmenden Theaterwaffen und verklemmten Gags darüber erklingen. Zur Sicherheit streitet zeitgleich der Chor darüber, wohin der Teppich voller Scherben nun entsorgt werden soll: Gerangel statt Geraune, Physis statt Psyche. Und ein ungemein musikalisches Kaltstellen der Musik.

Über die Verführung liest man ja immer wieder, dass sie heute ganz unmöglich geworden sei. Für diese traurige Lesart der Geschlechtergegenwart müssen naturgemäß auch „Don Giovanni“-Inszenierungen herhalten. Kein Terrain für Fritsch, der gleich vorneweg mal klarstellt, dass bei ihm keiner einen Stich macht. Verständlich, denn alle seine Figuren haben schon einen. Und was für einen. Selbstberauscht, hyperaktiv, manisch und kindlich zugleich torkeln sie dahin, bereit, für einen Gag ihre Seele zu geben, ahnen sie doch, dass dieser Handel mangels Gegenleistung stets zu ihren Gunsten ausgehen muss.

Komischerweise passt Fritschens Personalangebot den Sängern ganz gut in den Kram. Schließlich sind sie permanent mit der Hervorbringung des Unnatürlichen auf der Bühne beschäftigt. Was sie singen, sollen sie zugleich noch ausdeuten und sich dabei zum Resonanzraum machen für alles, was da sein könnte zwischen Himmel und Erde.

Eigentlich ein Irrsinn, diese Oper. Und so anfällig für Irrwege wie für Missverständnisse. Da kann man einem wie Fritsch schon dankbar sein, dass er auf sich nimmt, den ganzen Ballast hinfortzuturnen. So wie man Robert Wilson dafür preisen muss, dass er den Naturalismustand vom Musiktheater nimmt und stattdessen dem Artifiziellen sein Spiel lässt und den Farben ihre Tiefe schenkt. Ach ja. Auch Fritsch ist sein eigener Bühnenbildner, und nach der abgehängten Ouvertüre ist alles Spitze – spanische. Sieht klasse aus, wie sich die Klöppelmuster da als Szenenbild übereinanderschieben können, hat Stil, ohne Verpflichtungen einzugehen, und bringt die grell gewandeten Sänger noch besser über die Rampe: die orangehaarige Donna Anna (Erika Roos) als sadistische Trauerterroristin, Donna Elvira (Nicole Chevalier) als ein sich selbst verschlingender gelber Rachewurm, dazwischen rot-violett ausstaffiert Don Giovanni (Günter Papendell).

Das fetzt nicht nur optisch. Durch seinen unbedingten Willen, Teil der Fritschmaschine zu werden, wächst ein bei Licht betrachtet solides Mozartensemble (sieht man von dem souveränen Günter Papendell mal ab) für Momente über sich hinaus. Ragen Spitzen gesteigerter Präsenz aus dem Treiben heraus, kann Jens Larsen als diabolisch-harlekinesker Leporello noch immer punkten.

Seltsam nur: Musikalisch hinterlässt der Abend keine bleibende Spur, was weniger am aufgeräumt unaufgeregten Dirigat von Henrik Nánási liegt als an einem Theater, das der Musik ihren Resonanzraum streitig machen will und darin recht erfolgreich ist. Ohne dabei wirklich zu überraschen.

Don Giovannis Ständchen als bizarre Luftgitarrennummer, na klar, muss sein, kommt rein. Zwei, drei Pimmelsackdadastrophen, geschenkt. Sogar kleinste Gagregungen werden lautgetan: Aus „Hand“ schwiemelt sich „Händel“, über den schnell ein „Halleluja“ gesprochen ist (Textfassung: Sabrina Zwach). Fritsch-Fans werden die durchweg magere Ausbeute des Dreieinhalbstünders beklagen und sie auf Mozart schieben. Opernschützer werden den Zeigefinger rausholen und damit verbohrt behaupten, dass man so was mit Mozart nicht macht. Hofft zumindest der Regisseur.

„Du Schwein, bereue!“, fordert der Komtur (Alexey Antonov) Don Giovanni in der flotten neuen Übersetzung auf. Ganz am Ende ist es urplötzlich gar nicht mehr lustig, denn hier will jemand doch ernsthaft das Spielen verbieten. Vom Schnürboden senkt sich unaufhaltsam ein leuchtender – ja, genau – Zeigefinger auf den Helden, der im Laufe des Abends immer verstörender an seinen Regisseur erinnert, als der noch vor allem Darsteller war. Giovanni tut, was ein erfahrener Komödienspieler in einer verfahrenen Situation macht: Er verschwindet im Bauch der Unterbühne. Seine Hand ragt unbeugsam empor, bis sie winkend entschwindet.

Zum Applaus nimmt Herbert Fritsch den gleichen Weg auf die Bühne, den Spielfinger gereckt. Nach seinem eher erschöpft denn kontrovers abgeklatschten „Don Giovanni“ und Barrie Koskys verbissen gegen den Tempoverlust anspielender „Schöner Helena“ ist die Komische Oper geschlossener denn je in Unterhaltungsgewässern unterwegs. Noch zieht das Ensemble begeistert mit, ist die Bude voll. Doch langsam wird es Zeit für eine Ahnung von Gefährdung. Die Zeit nach Klausi hat begonnen.

Wieder am 6., 14., 17. und 25. Dezember.

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