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Das Glück dieser Erde. Aus Liebe zu Don Quichotte (Alex Esposito) gibt Sancho Pansa (Seth Carico) den Gaul.

© Thomas Aurin

"Don Quichotte" in der Deutschen Oper: Die Mühlen der Ebene

An der Deutschen Oper zeigen Jakop Ahlbom und Emmanuel Villaume, wie schwer es ist, Jules Massenets „Don Quichotte“ zu durchschauen.

Der Einstieg ist verheißungsvoll. Jules Massenet fährt in seinem Spätwerk „Don Quichotte“ alles auf, was das turbulente Geschehen um den Ritter von der traurigen Gestalt musikalisch prägt: Tänze, schlagwerkgestützte Knalleffekte und natürlich kräftiger Kastagnetteneinsatz. Frankreich war im 19. Jahrhundert spanienvernarrt, Bizets „Carmen“ nur die Spitze des Eisbergs, und auch Massenets 1910 uraufgeführte Oper schwimmt noch auf dieser Welle – wenngleich sie über bloße Koloritzeichnung hinausgeht, sich auch mit Themen wie Älterwerden auseinandersetzt.

An der Deutschen Oper Berlin ist diese Musik beim Dirigenten Emmanuel Villaume in guten Händen. Er schärft an, macht Tempo, formt plastisch aus, gibt aber auch den lyrischen Stellen Raum zum Atmen. Massenets Partitur ist kein Geniestreich, aber die chamäleonartige Wandelbarkeit, mit der sie neue Farben für jede Situation findet, sprechen doch für sie, wie das von Desillusionierung und zerbrochener Liebe singende Cello-Solo im Zwischenspiel zum fünften Akt.

Magischer Realismus

Henri Cains Libretto verengt die Vorlage auf wenige Erzählstränge. Die berühmte Windmühlenszene ist natürlich dabei, die wortwörtlich „süße“ Wirtin Dulcinée, die im Roman nur in den Erinnerungen Don Quichottes existiert, tritt hier ganz handfest auf. Das prägende Thema des Romans – die oft bittere Differenz von Vorstellung und Wirklichkeit, von Ideal und Realität – zieht sich gleichwohl genauso durch die Oper. Man möchte meinen, dass der schwedische Regisseur Jakop Ahlbom, der sich selbst eines „magischen Realismus“ rühmt, dafür der richtige Mann wäre.

Auch er fährt auf, was das Arsenal hergibt: Karnevalshütchen, riesige und von den Werkstätten meisterhaft gearbeitete Köpfe (Bühne: Katrin Bombe), grotesk vergrößerte Hände und Ohren. Eine Figur hat gar kein Haupt, eine andere ist doppelt so breit wie hoch, die Räuber tragen Käferkostüme. So will Ahlbom Surrealismus auf die Bühne zaubern.

Hier stört die Musik

Doch die Zeiten, da man, wie einst Hans Neuenfels, Protestwellen lostreten konnte, indem man Darsteller in Insektenkostüme steckt, sind lange vorbei. Ahlboms Bemühungen wirken genau so: bemüht, angestrengt, die Zaubertricks etwas altbacken. Die Handwerkskünste der Werkstätten laufen ins Leere, das Ganze ist nicht aus der Musik heraus gedacht, man spürt, wie zu jeder klanglichen Wendung noch eine szenische Entsprechung gefunden werden soll. Ja, wie die Musik in manchen Momenten regelrecht zu stören scheint.

Eine „magische“ Atmosphäre, die dem, was in Don Quichottes Kopf passiert, entsprechen könnte, mag sich so nicht einstellen. Woran auch die fast durchgehende Einheitsbeleuchtung, eine Art Putzlicht, ihren Anteil hat. Die strahlt selbst dann noch grell, als Don Quichotte bereits mit gebrochenem Herzen im Sterben liegt, gescheitert an der Liebe und daran, dass sich seine und die reale Welt einfach nicht auf einen Nenner bringen lassen.

Ein Quäntchen Selbstironie

Der Aufführung fehlt ein Zentrum. Alex Esposito in der Titelrolle kann es nicht füllen. Sein Bass ist charaktervoll, aber stimmlich klein, während Volumen immerhin bei Seth Carico als Sancho Pansa kein Problem ist. Rein phänotypisch sind die Figuren vertauscht, der Ritter eher gedrungen, der Knappe groß und schlaksig. Ob das eine produktive Irritation sein soll, wird nicht ganz klar, aber es trägt seinen Teil zum Scheitern des Abends bei.

Hauptgrund ist jedoch, dass Esposito sich der Rolle des „heiligen Narren“ komplett verweigert. Sein Ritter ist erschreckend durchschnittlich, bierernst sogar, manchmal nah an Wagners Hunding. Nein, „Don Quichotte“ ist keine komische Oper.

Ohne ein Quäntchen Selbstironie funktioniert sie trotzdem nicht. Clémentine Margaine als Dulcinée hat es: die Wirtin, die den Ritter zurückweist und ihn mit diesem Reality Check zerstört, deren Mitleid trotzdem wahrhaft ist, sie lacht, tanzt, schwingt sich auf in sphärische Koloraturhöhen und scheint als Einzige zu wissen, was „magischer Realismus“ bedeutet. In ihren großen runden Kinderaugen blitzt auf, was an diesem Abend möglich gewesen wäre. (Wieder am 2., 7., 13. und 18. Juni)

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