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Donaueschinger Musiktage: Wir sind so frei

Lenin, ’68 und jede Menge flache Hierarchien: Die Donaueschinger Musiktage entspannen sich.

Vor zwei Jahren hat die Künstlerin Rosalie für Georg Friedrich Haas’ „Hyperion“ in Donaueschingen die Baar-Sporthalle mit ihrem Beleuchtungsgesamtkunstwerk kunterbunt gezaubert – und vielen ist ein Licht nach dem anderen aufgegangen: Die Musiker spielten nach dessen Intensität, und die Menschen mittendrin schlenderten durch die ganze schöne Kunst hindurch, eine Stunde lang. Hinterher fühlte man sich wie neu geboren. Pünktlich zu Beginn der Donaueschinger Musiktage und bei Mathias Spahlingers Orchesteretüden „doppelt bejaht“, ist dieser Geist jetzt wieder erwacht: so wohltuend wie widersprüchlich.

In der letzten Woche haben sich, um kurz auszuholen, die beiden ehemaligen Chefredakteure des Magazins „Spex“ zu Wort gemeldet. Diedrich Diederichsen konstatierte wie nebenbei das „Ende der Popmusik“. Und Dietmar Dath dekretierte, Pop habe als gegenkulturelle Instanz abgedankt. Beides klang ein wenig beleidigt. Weil der Meinungsdemokratisierungsprozess fortschreitet, ziehen sie ein wenig kindisch den Stecker: Das Spiel ist aus!

Auf der anderen Seite hat sich Florian Illies, Feuilletonchef der „Zeit“, einen Ausschnitt von Welt zurückgewünscht, den es so niemals gegeben hat, nämlich das „Kulturbürgertum“ der späten DDR. Illies hat es angeblich tief schnaufen gehört im Semperopernpublikum, als Christian Thielemann Anton Bruckners ausufernde Achte Sinfonie dirigierte, und kommt zum Schluss, dass die „creative class“, wie er schreibt, solche Momente „nationaler Symbolik“ brauche. Die einen sehen den Pop sterben, andere wollen, nein, nicht den alten Kaiser Wilhelm wieder haben, aber wohl doch etwas in der Art. Ende der Auseinandersetzung.

Zu solchen anachronistischen Gedankenspielen verhalten sich die Donaueschinger Musiktage wie ein Jungbrunnen, in dem die Pluralität der Stile nicht nur eine Phrase ist. Spahlinger beispielsweise stellt, 40 Jahre nach ’68, noch einmal alte, immer wieder neue Fragen. Vier Stunden lang stellt er dem SWR-Sinfonieorchester theoretisch frei, sich innerhalb seiner 24 Etüden einzurichten. Kein Chef weit und breit. Ein ganz klein bisschen Lenin steckt immer noch im Komponisten, dessen einstmals breitbeinig linker Gestus konsensbereiter geworden ist. Spahlinger hat ein Ohr drauf, dass keine totale Anarchie ausbricht. Also hört er: sich leicht verändernde Klangfarben, anziehende Rhythmen, dynamisch verschärfte Intervalle. Vier Stunden lang. Hätte man je gedacht, dass ein Stück von Matthias Spahlinger meditative Sogkraft entwickeln würde? Hier ist der Beweis. Und die Musiker? Fühlen sich eigentlich nicht so entfremdet, wie die alten Revolutionäre immer dachten, finden’s aber ganz nett, wenn sie zwischendurch mal eine rauchen oder ratschen können. Und das Publikum? Liegt teilweise hingegeben am Boden.

Parallel dazu tastet man sich, in anderen Schulgebäuden, immer wieder heran an Manos Tsangaris’ Installation Opera „Batsheba. Eat The History!“. Die erschließt sich erst (teilweise) am Abend danach, also drei Spielstätten und viele Stunden später. Tsangaris bekommt, heftig umbuht, am Schluss den Orchesterpreis. Dabei hatte er energisch daran gearbeitet, dass der klassische Verbund aufgelöst wird. Über Mittag zum Beispiel lässt er zum Beispiel in der Christuskirche durch das überirdisch singende SWR-Vokalensemble Stuttgart Motive vorstellen, die er abends auf der Bühne erneut vorstellt, jetzt im, nun ja, Opernrahmen. Tsangaris kommt von der Momentaufnahme her, hat mit Ein-Minuten-Musik-Polaroids begonnen. Bei allen Einwänden im Detail: Sein auf verschiedenen Ebenen spielendes, ausuferndes, mitunter fast barockes Musiktheater gibt dem Zuhörer, was ihm der klassische Kulturbürgertumsbetrieb oft schwer macht: Hier darf er seinen Standpunkt alleine finden und seine Sichtweise ändern.

Demgegenüber scheint im Rückzug begriffen, was Rolf Riehm im Schlusskonzert versucht: Da wird das sinfonische Schlachtross (inklusive integriertem Klavierkonzert) noch einmal vor den Karren der Aufklärung gespannt: „Wer sind diese Kinder“ zitiert unter anderem Hölderlin auf Arabisch, trotzdem bleibt die ganze Chose seltsam spurenlos.

Die Zukunft der mittlerweile fast ausnahmslos von der Elektronik regulierten Stücke könnte beim Ictus Ensemble aus Brüssel liegen. 20 Musiker, besessen von Pioniergeist, flache Hierarchien und allesamt ohne jede Berührungsängste: kein Rockriff, aber auch kein romantisches Rubato, das ihnen fremd wäre. Bis zum Exzess lassen sie des Franzosen Franck Bedrosians „Swing“ rotieren, das eine halbe Stunde jeden Klang beugte, um ihn hernach wieder groß zu machen, eine klassische Emanzipationsgeschichte. So hört es sich an, wenn die Musik nicht tot ist – Donaueschingen lebt, und es lebe Donaueschingen!

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