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Die Sopranistin Anja Silja verkörperte einen völlig neuen Typ von Wagner-Heldin.

© Sepp Spiegl/Imago

Doppeljubiläum: Anja Silja und Siegfried Jerusalem feiern 80. Geburtstag

Die Sopranistin und der Tenor wurden in Bayreuth berühmt, aber sie haben nie gemeinsam auf dem Grünen Hügel gesungen.

Wunderkinder gibt es immer wieder. Die meisten von ihnen spielen Klavier oder Geige. Anja Silja aber, 1940 in eine Berliner Künstlerfamilie hineingeboren, sang. Mühelos, unbeschwert, sicher selbst in den höchsten Regionen. Ihr Großvater Egon van Rijn erkannte die Begabung und bildete seine Enkelin so gut aus, dass sie mit zehn Jahren im Steglitzer Titania-Palast auftreten konnte, als 16-Jährige in Braunschweig ihr Operndebüt mit der verteufelt schweren Koloratur-Partie der Rosina aus Rossinis „Barbier von Sevilla“ gab und 1959 beim Festival in Aix en Provence das Publikum als Königin der Nacht in der „Zauberflöte“ beeindruckte.

Im Sommer darauf stand sie dann erstmals auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses, im „Fliegenden Holländer“: Eine Senta, die tatsächlich so jung, so schön, so reinen Herzens war, wie Richard Wagner das sich in einem Libretto ausgemalt hatte.

In ihrer Bühnenpräsenz, der Intensität ihrer Interpretation, ihrer unbefangenen Art verkörperte Anja Silja einen völlig neuen Typ von Wagner-Heldin. Und eroberte damit das Herz des Festspielchefs und Komponistenenkels Wieland. Bis zum frühen Tod des Regisseurs 1966 schuf dieses Traumpaar des Nachkriegsmusiktheaters eine Reihe von Inszenierungen, die bis heute Kultstatus besitzen.

Vom Fagottspieler zum Opernhelden

Ein ausgesprochener Spätzünder als Sänger war dagegen Siegfried Jerusalem, der exakt am selben Tag geboren wurde wie Anja Silja, allerdings in Oberhausen. Das Fagott wählt er als Hauptfach an der Essener Folkwangschule, seine erste Anstellung fand er im Orchester des Städtebundtheaters Hof, weitere Stationen in Reutlingen und Stuttgart folgten, bis der Mittdreißiger bereit war, auch seinen schönen lyrischen Tenor in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Die Erfolge, die er als Tenor schnell errang, vor allem mit der Partie des Lohengrin, machten es Siegfried Jerusalem leicht, das Instrument beiseitezustellen, um seinen Lebensunterhalt fortan als Opernheld zu verdienen. Auch wenn ihm die Vokal-Fachleute im Nachhinein nur eine eingeschränkte Eignung fürs Wagner-Fach attestieren – weil sein Stimmmaterial für die rauflustigen Recken nicht robust genug war –, avancierte er schnell zum Star, wurde Ensemblemitglied in der Deutschen Oper Berlin, trat in München auf, an der New Yorker Met – und natürlich in Bayreuth.

Der Tenor Siegfried Jerusalem hatte seine späte Premiere in Bayreuth erst 1979.
Der Tenor Siegfried Jerusalem hatte seine späte Premiere in Bayreuth erst 1979.

© Daniel Karmann/dpa

Ab 1979 war er auf dem Grünen Hügel Parsifal, dann Lohengrin, Stolzing, Siegmund und verkörperte schließlich ab 1988 auch seinen Vornamensvetter in Harry Kupfers anspruchsvollem „Ring des Nibelungen“. Mit Waltraud Meier bildete er schließlich ein berührendes Schmerzenspaar in „Tristan und Isolde“.

Siljas Sopran ist unverwechselbar

Begegnet sind sich Anja Silja und Siegfried Jerusalem auf der Bühne des Wagner’schen Festspielhauses nie. Denn die Sopranistin mied das Wagner-Festspielhaus nach Wielands Tod konsequent – und wurde stattdessen zu einer der faszinierendsten Singschauspielerinnen, die es je in der Oper gegeben hat. Schwierige, komplexe Rollen wie die „Wozzeck“-Marie, Salome, Lulu oder die „Fidelio“-Leonore nahm sie bevorzugt an, im letzten Drittel ihrer Karriere war sie eine grandiose Emilia Marty in Janáceks „Sache Makropoulos“.

Unverwechselbar blieb dabei über die Jahrzehnte der Klang ihres Soprans: klar, vibratofrei, fast schon gläsern, was ideal zur fokussierten Geradlinigkeit ihrer Darstellung passte.

Jerusalem besitzt eine interpretatorische Intelligenz

Anja Siljas Bühnenlaufbahn ist auch an ihrem heutigen 80. Geburtstag noch nicht definitiv zu Ende, 2018 beeindruckte sie beispielsweise bei der Wiedereröffnung des barocken Bayreuther „Markgräflichen Opernhauses“ in einer eigens für sie konzipierten Sprechrolle. Siegfried Jerusalem dagegen feierte seinen Abschied von den Wagner-Heroen schon vor fast zwanzig Jahren, sang dann noch Charakterpartien wie den Herodes, gab Meisterkurse und war von 2001 bis 2008 Rektor der Nürnberger Musikhochschule.

Der attraktive, spielfreudige Tenor war stets ein Mann der Liveaufführungen, den man nicht nur hören, sondern auch sehen wollte. Was seine Aufnahmen in den Vordergrund rücken, ist die interpretatorische Intelligenz dieses Ausnahmekünstlers. Mag es seinem Organ im Vergleich mit den landläufigen Wagner-Interpreten auch an Durchschlagskraft fehlen, an der natürlichen Härte, dem „Metall“: Siegfried Jerusalem durchdringt die Figuren, die er verkörpert. Er vermag den Worten Sinn zu verleihen und erreicht darum auch eine selten gute Textverständlichkeit. Hier singt ein Mensch, kein Übermensch.

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