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Kultur: "Dornröschen"-Neudeutung: Prinzessin aus dem Ei

Ist es mangelnde Eitelkeit, oder hat der schwedische Bühnenbildbau einfach nur vor "Ikea" die Waffen gestreckt? Die Szene für Mats Eks "Dornröschen"-Choreografie atmet das Grau Bergmanscher Familienhöllen, in der selbst das heiß ersehnte Auto nur als stumpfschwarze Laubsägearbeit umherrollt.

Ist es mangelnde Eitelkeit, oder hat der schwedische Bühnenbildbau einfach nur vor "Ikea" die Waffen gestreckt? Die Szene für Mats Eks "Dornröschen"-Choreografie atmet das Grau Bergmanscher Familienhöllen, in der selbst das heiß ersehnte Auto nur als stumpfschwarze Laubsägearbeit umherrollt. Doch die ausgestellte Staubigkeit entpuppt sich im Schiller-Theater alsbald als ein Bühnen-Coup. Nichts lenkt ab von den Tänzern des Stockholmer Cullberg Balletts, für die Ek 1997 diese Neuinterpretation des Klassiker-Stoffes erdacht hat. Konsequent wendet sich der Choreograf von allem repräsentativen Gepränge ab, bei ihm fällt kein ganzer Hofstaat in 100-jährigen Märchen-Schlummer - nein, hier versuchen Menschen aus Fleisch und Blut ihren Traum von Glück zu leben. Strahlend und weltvergessen werfen sich König Florestan (George Elkin) und Königin Silvia (Gunilla Hammar) in ihre leuchtende Liebe, die nichts von ihrer atemberaubenden Drehung um sich selbst verliert, als Prinzessin Aurora (Vanessa de Lignière) aus ihrem weißen Ei geschlüpft ist. Da watschelt sie umher, schon ganz den eigenen Kopf auf den Schultern, läuft bis ans Ende der Bretterwelt - und will weiter. Bis sie an Carrabosse (Rafi Sadi) gerät, dessen dunkle Aura sie an ihn kettet und sich die Kanüle einer Spritze in ihren Arm bohrt.

Kein Rosengarten schützt die Versehrte, sie taumelt dahin, während Carrabosse von einem Ausländerfeind erschossen wird. Es ist Prinz Désiré (Eytan Sivak), dem Aurora - Schuld und Sühne - darauf ein schwarzes Ei gebiert. Während Tschaikowskys Musik Liebe, Schönheit und Güte huldigt, schweißt sich auf der Bühne bebend vor Bitternis eine neue Kleinfamilie zusammen.

Nicht jeder Einfall von Ek hat das Zeug zum Klassiker. Manchmal gibt sich der Choreograf mit Mätzchen zufrieden. Dann fällt die Begeisterung spürbar zu Boden. Doch nur für kurze Momente, denn Eks plastische Körpersprache, die immer wieder bis zum Comichaften vorstößt und dabei doch nie ihre innere Glaubwürdigkeit verliert, fesselt. Ein vom Cullberg Ballett mit exemplarischer Hingabe ans Erzählballett getanzter Abend, der bleiben wird.

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