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Seit dem Alter von 18 Jahren gefeiert und angegriffen. Die polnische Schriftstellerin Dorota Maslowska.

© Marcin Szczygielski

Dorota Maslowskas Roman „Andere Leute“: Vom Kapitalismus plattgemacht

Kondom des Grauens: Die Details sitzen bei Dorota Maslowska bombensicher. Die kräftigen Bilder aus „Andere Leute“ hinterlassen einen bleibenden Eindruck.

Warschau. Smog liegt über der Stadt. Die Autos stehen im Stau. Es ist die Zeit der nachweihnachtlichen Schlussverkäufe. Enttäuschung und Aggression entladen sich beim kleinsten Anlass. Doch alles hat einen Rhythmus, hart, energisch, auf der Kippe zwischen Lust und Frust, ein rüder Lebenshunger, nicht gerade von der freundlichen Sorte – aber er gibt diesem Roman einen Sound, der seine auseinanderdriftenden Teile vorantreibt.

Wumm- wumm-wumm, so mischt sich Großsprecherei mit Depression, so fluchen und zetern sich die Figuren durch die ersten drei Tage der Woche. Dann ist der Roman auch schon vorbei. Und hinterlässt einen bleibenden Eindruck.

Dorota Maslowska, 1983 in Wejherowo geboren, legte mit 18 Jahren einen raketengleichen Start hin. „Schneeweiß und Russenrot“ soll sie neben dem Abitur heruntergeschrieben haben, sie wurde dafür gefeiert und angegriffen. Es folgten die Romane „Die Reiherkönigin“ mit dem Untertitel „Ein Rap“ und „Liebling, ich habe die Katzen getötet“. In „Andere Leute“ führt sie nun eine Handvoll Figuren zusammen, sehr locker durch Fäden des Zufalls verknüpft, in ihren Existenzen kenntlich wie driftende Inseln.

Sie schneidet Szenen hart aneinander, mischt sie wie ein Kartenspiel, dabei entsteht eine eigentümliche Verbindung aus Oberflächlichkeit und Intensität. Alle haben hier eine Stimme, die Obdachlosen, die Fahrgäste in der Straßenbahn, Nachbarn, Hausmeister, Polizisten, alte Frauen, selbst Jesus Christus, der aber nur in der Fantasie.

Ein Notstand sexueller Natur

Kamil Janik ist zweiunddreißig, nicht gerade die hellste Leuchte auf der Torte. Wenn er was schreiben muss, fragt er, wie ein P geht und ein A. Er kennt Buchstaben eben nur von der Tastatur, da muss man sie nur berühren.

Er träumt von einer Karriere als Rapper, momentan verdient er sich das Geld mit Schwarzarbeit, er dealt auch hin und wieder, was ihn nicht davon abhält, gegen Drogen zu sein, gegen die Verwahrlosung der Sitten sowieso, gegen Migranten und „ukrainische Luschen“, die gefälligst die miesen Jobs machen sollen. Kamil lebt bei seiner Mutter, die kleine Schwester nervt, sie geht noch zur Schule, in der Plattenbauwohnung hört man jeden Mucks.

Zufällig gerät er an Iwona. Er hat als Hilfsklempner bei ihr gearbeitet. Sie hat sich seine Handynummer für Notfälle notiert, unter dem Namen „Klospülung“. Schon eine Woche später zitiert sie ihn zu sich. Ein Notstand sexueller Natur ist eingetreten. Ihr Mann, Maciej, findet sie immer noch heiß, auch wenn die „Titten“, die er ihr spendiert hat, vielleicht eine Nummer zu groß geraten sind, aber scharf ist er nicht mehr auf sie.

Der Kredit für die teure Wohnung törnt ihn ab, allerdings hat er sich auch noch einen neuen Volvo gekauft, sie bekam dafür den alten Nissan, den sie prompt onduliert. Eine Geliebte hat sich ihm geradezu aufgedrängt. Attraktiv findet er sie nicht, aber sie bewundert ihn, das genügt. Iwona sieht ihre ständigen Likes auf Facebook und weiß Bescheid.

Verächtlichkeit und Misogynie neben den Parolen der PiS

Kamil ist aufgeregt, als er bei der „reichen Tussi“ einläuft. Sie dirigiert ihn, wie es ihr passt, und setzt ihn umstandslos vor die Tür, als sie zur Elternsprechstunde aufbrechen muss. Das eingewickelte Kondom nimmt sie in der Handtasche mit. Er stellt sich vor, wie sie, von seinem Sperma befleckt, ihren Sohn anfassen wird, und verachtet sie dafür.

Die kleinen Details sitzen bei Dorota Maslowska bombensicher. Das Kondom lastet wie ein stiller Vorwurf in ihrer Tasche, während sie eine Unterschrift gibt, die sie gar nicht geben will.

Verächtlichkeit und Misogynie durchziehen den Roman ebenso wie die Parolen der PiS. Mit einem außer Rand und Band geratenen Konsumismus, der Suche nach Zerstreuung und Betäubung, nach Reizen, Ruhm und Sex, ist „Andere Leute“ das herbe Porträt einer Gesellschaft, die vom Kapitalismus plattgemacht wurde wie von einem Presslufthammer. Das ist gewiss nicht ohne Klischees, aber in ihrer starken Überzeichnung wirken sie wie eine gute Karikatur.

Maslowska schreibt einfallsreich, aufrührerisch und witzig

Manchmal sieht man sie auch in der Berliner U-Bahn sitzen und versucht sich einen Reim darauf zu machen: Polen und Russen auf Einkaufstour, die Männer bewachen geduldig luxuriöse Einkaufstaschen, während die Frauen ihr Smartphone „wichsen“, wie Maciej über seine dreizehnjährige Tochter denkt.

Sie lebt bei seiner geschiedenen Frau und wirft dem Vater vor, dass er das ganze Geld in die neue Familie investiert. Wenn sie aber eine Therapie brauche wegen ihrer Magersucht, dann bleibe nichts für sie übrig.

Die Dialoge sind direkt wie im Theater, manchmal zoomt die erlebte Rede ins Innere der Figuren. Der harte Rhythmus der Sprache wurde von Olaf Kühl bewundernswert ins Deutsche gebracht. Der Nobelpreis für Olga Tokarczuk hat den Fokus auf die polnische Literatur gelenkt, speziell auf die von Frauen.

Widerstand gegen ein konservatives, frauenverachtendes Regime, das Katholizismus und Fremdenhass zur Unterdrückung benutzt, kann es auf verschiedene Weise geben. Im Zusammenspiel von eher mystisch geprägter Literatur und demokratischem Engagement wie bei Tokarczuk, aber auch im Kapern einer Sprache, die Genres vermischt und die Freiheit nutzt, zu sampeln und zu mixen.

Dorota Maslowska schreibt einfallsreich, aufrührerisch und witzig. Ihre Bilder sind kräftig und lakonisch. So heißt es etwa über die grauen Wolken an Warschaus Winterhimmel, sie seien zusammengezogen wie „Gottes Brauenbogen. Oder die Brauen von jemand anderem.“ Einer Frau womöglich?
[Dorota Maslowska: Andere Leute. Roman. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin, Berlin 2019. 155 Seiten, 18 €.]

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